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Dimagier_Horst 01.10.2012 15:35

Zitat:

Zitat von verdi68 (Beitrag 1368929)
Wieso man das "böse" deutsche Wort jetzt nicht verwenden darf weiß ich allerdings nicht.

Der Begriff "Konzentrationslager" beschreibt ein politisch-militärisches System der industriellen Vernichtung von Menschen. Dies war nur möglich durch Neid und Gier (Thema Arisierung), Blockwartmentalität (ich habe jetzt auch was zu melden), Terror gegenüber der Zivilbevölkerung (lieber wegsehen), Propaganda (Ablenkung von Staatsüberschuldung und Kriegsbegründung) um das Thema nur einmal anzuschneiden.

Wenn Du diesen Begriff, der eben nicht nur für Gebäude und Stacheldraht steht, auf Massentierhaltung anwendest, setzt Du deren Betreiber mit dem damaligen politischen System gleich. Du setzt aber auch die damaligen Opfer mit Tieren gleich.

Beides geht nicht, oder?

Es ist auch kein, wie Du schreibst, böses deutsches Wort, sondern die Beschreibung eines allumfassenden Systems, dass es so noch nicht gegeben hat. Die Menschen, die unter diesem System gelitten haben, sind mehr als traumatisiert. Ihre Angst lebt in ihren Nachkommen weiter, und wird auch in den folgenden Generationen noch Auswirkungen haben. Deswegen ist der Bezug dieses Begriffs auf Massentierhaltung ein Herunterspielen der Geschehnisse der Vergangenheit. Die Opfer werden dadurch noch einmal zum Opfer.

Sofern Du hier aufgewachsen bist, vielleicht auch Deine Eltern, trifft uns eine besondere Verantwortung. Denn es ist HIER passiert. In Deutschland ist es passiert. Unsere Eltern und Großeltern haben es Geschehen lassen. Und das dazugehörige Gedankengut ist immer noch allgegenwärtig. Deswegen sollten wir mit diesem Begriff aus einer Verantwortung für die Zukunft heraus mit besonderer Überlegung verwenden. Den Opfern unser Mitgefühl bekunden, aber nicht ihr Leid zweckentfremden für die eigene Empörung über ganz andere Sachverhalte!

Harries 01.10.2012 15:47

Das mag sein, aber man kann es auch anders sehen, wenn man dieses unglaublich teuflische Machwerk, welches geschehen ist und uns Allen noch heute zutiefst fassungslos macht und wir ebenfalls die in der Schule gezeigten Bilder und Umstände nicht vergessen werden.
Mittlerweile zu einer vernünftigen Gesellschaft herangereift sind (na fast Alle)
finde ich es nicht schlimm derartiges auch auf vermeintlich kleinere Inhalte zu übertragen.
Das zeigt doch vielmehr, dass unsere Gesellschaft welche dazugelernt hat, nicht erst anfängt zu bedauern wenn wirklich ein KIND in den Brunnen gefallen ist
Sondern dies gelernte auch schon auf vermeintlich niedere Tiere anzuwenden, zeugt von Menschlichkeit

So sehe ich das

LG Holger

alberich 01.10.2012 16:13

Hier wird der Begriff Konzentrationslager mit der Shoah, dem Holocaust gleich gesetzt. Das ist verständlich und nachvollziehbar, aber historisch nicht korrekt.
Konzentrationslager gab es in Deutschland schon auch im ersten Weltkrieg. Die Form der Internierung ist weltweit angewandt worden und wird es auch heute noch. Amerika hat Indianer in Konzentrationslagern interniert, Chile politische Gefangene in den siebziger Jahren, Spanien, im Bosnienkrieg, China usw.

Dennoch ist auch meiner Ansicht nach die Verwendung dieses Begriffs auf eine "Hühnerfarm" ein wenig über das Ziel hinaus geschossen. Zweifelsfrei ist die Haltung in solchen "Farmen" indiskutabel und gehört dringend verändert. Dennoch gibt es eben neben der plakativen "Verachtung für anderes Leben" noch eine Reihe anderer Kriterien, die bei einem Konzentrationslager immanent sind. Diese kann man nicht so leichtfertig außer Acht lassen und durch eine solche Unschärfe in der Verwendung des Begriffes in seiner Dimension und Gewichtigkeit verwässern.

Ich muss auch ein Bild eines Schlachthofes nicht z.B. Auschwitz nennen nur um klar zu machen, das dies ein schrecklicher Ort ist, an dem Tod und Verachtung zum Geschäft gehört, und genauso braucht eine Hühnerfarm nicht eine zusätzliche Schreckensdimension durch die Verquickung mit dem Begriff "Konzentrationslager".

Noch einmal. Es ist verständlich, dass man eine solche Assoziation haben kann in Anbetracht der ekelhaften, gespenstischen und gleichermaßen effizienten Gestaltung solcher "Anlagen", aber eine Gleichstellung geht schon ein wenig zu weit. So zumindest mein Empfinden.

Harries 01.10.2012 16:31

Noch einmal. Es ist verständlich, dass man eine solche Assoziation haben kann in Anbetracht der ekelhaften, gespenstischen und gleichermaßen effizienten Gestaltung solcher "Anlagen", aber eine Gleichstellung geht schon ein wenig zu weit. So zumindest mein Empfinden.[/QUOTE]

Ganz genau die gleiche Gestaltung und deswegen die rein optische Assoziation, aber keinerlei Gleichstellung !!!

LG Holger

P.S.: Sollte sich ein Überlebender des Shoah bei einem Spaziergang dorthin verirren, dann kämen wahrscheinlich fürchterliche Erinnerungen in demjenigen hoch

alberich 01.10.2012 16:45

Zitat:

Zitat von Harries (Beitrag 1369330)
P.S.: Sollte sich ein Überlebender des Shoah bei einem Spaziergang dorthin verirren, dann kämen wahrscheinlich fürchterliche Erinnerungen in demjenigen hoch

Die kämen ihm aber genau so, wenn darin Heizlüfter hergestellt oder aber Kartons gelagert würden. Es reicht ein "Funktionsgebäude", das einer Barracke ähnelt und ein Stacheldrahtzaun drum herum. Das ist zu einem ikonographischen Symbol geworden unabhängig davon, was dort drin geschieht.
Man kann diese Assoziation bei zahllosen Gebäuden bekommen, dennoch würde man sie nie Konzentrationslager nennen, selbst wenn man es assoziiert. Und eben darum geht es.

Harries 01.10.2012 17:07

Ja aber ein mit Stacheldraht weiträumig umzäuntes Areal, weit ab von Ortschaften mitten im Wald plaziert, heisst wir wollen hier keine Zuschauer.
Zu den mittlerweile sehr wohl durch die Medien bekannt gewordenen Zustände in diesen Hühnerzuchtbetrieben, weiss wohl jeder annähernd bescheid.
Wenn man sich dann diese in den Betrieben tägliche Nichtachtung der Lebewesen, vor Augen führt, dann ist dieser Vergleich ohne eine Gleichstellung zu wollen, eben der, welcher den Nagel auf den Kopf trifft.
Nur tut er das am untersten Ende der Macht/Nahrungskette und ist was die Haltung von Nutztieren betrifft deren eignes "Hühnerfiasko" und auch anderer Tiere

LG Holger

Ich finde es immer noch seltsam das dieser Vergleich genannt wird nur wegen eines einzelnen Kürzels oder Wortes, eben weil es nur ein Vergleich war, aber doch keine Gleichstellung auf einer Ebene

nidschki 01.10.2012 23:33

Zitat:

Zitat von Dimagier_Horst (Beitrag 1369306)
Wenn Du diesen Begriff, der eben nicht nur für Gebäude und Stacheldraht steht, auf Massentierhaltung anwendest, setzt Du deren Betreiber mit dem damaligen politischen System gleich.

Das ist erstmal deine Assoziation. Ich verbinde mit diesem Begriff in erster Näherung das Gefangensein in einem Lagerkomplex unter desaströsen Bedingungen. Damit kann man Legebatterien durchaus legitim beschreiben.
Darüberhinaus existiert bezüglich Begriffshygiene die Unterscheidung zwischen den zahlreichen Konzentrationslagern und den Vernichtungslagern im NS-Regime.


Zitat:

Du setzt aber auch die damaligen Opfer mit Tieren gleich.

Beides geht nicht, oder?
Doch. Zumindest zweiteres sehe ich nicht als problematisch an. Menschliches Leid mit tierischen Leid gleichzusetzen relativiert nicht die Geschehnisse im NS-Zeitalter, noch degradiert es Menschen. (Mal davon abgesehen, das wir auch Tiere sind.) Diese mögen noch so grauenhaft gewesen sein, aber das tatsächliche Alleinstellungsmerkmal stellt meines Erachtens nicht die Grausamkeit oder das erzeugte Leid dar, denn dieses findet und fand man zu allen Zeiten überall auf der Welt, in differenter Ausprägung. Das, was die Taten des NS-Regimes so unglaublich erscheinen lässt, ist eher die Größenordnung der Vernichtung und die industrielle 'Effizienz', mit der Menschen ermordet wurden.

Zitat:

Es ist auch kein, wie Du schreibst, böses deutsches Wort, sondern die Beschreibung eines allumfassenden Systems, dass es so noch nicht gegeben hat. Die Menschen, die unter diesem System gelitten haben, sind mehr als traumatisiert. Ihre Angst lebt in ihren Nachkommen weiter, und wird auch in den folgenden Generationen noch Auswirkungen haben. Deswegen ist der Bezug dieses Begriffs auf Massentierhaltung ein Herunterspielen der Geschehnisse der Vergangenheit. Die Opfer werden dadurch noch einmal zum Opfer.
Sorry, aber das ein seichter Allgemeinplatz. Die Angst lebt in den Nachkommen weiter? Du hast also mit tausenden Nachkommen jüdischer Familien oder anderer damals drangsalierter Menschen gesprochen, um solch ein Psychogramm erstellen zu können? Das Gleiche könnte ich auch über Familien in Afrika behaupten, denen regelmäßig die Kinder wegsterben. Die dürften wohl auch traumatisiert sein, von so viel Tod und Hoffnungslosigkeit umgeben.
Die Opfer werden eher wieder zu Opfern, wenn man sie als ebensolche stilisiert.


Zitat:

Sofern Du hier aufgewachsen bist, vielleicht auch Deine Eltern, trifft uns eine besondere Verantwortung.
Denn es ist HIER passiert. In Deutschland ist es passiert.
Nun bin ich kein Deutscher, sondern Österreicher, aber Deutschland war ja nicht das einzige Land, in dem es Vernichtungslager gab. Aber selbst wenn, ich halte diese Argumentation für sehr gefährlich. Dass man sich in Deutschland besondern intensiv mit der eigenen Vergangenheit auseinandersetzen sollte, dagegen spricht nichts, aber eine besondere Verantwortung haben? Jeder Mensch sollte verantwortungsbewusst mit Themen wie Faschismus usw. umgehen, Deutschland war kein singulärer 'Hort des Bösen', Vernichtung von Menschen gab es überall in allen Facetten, die Grausamkeit zu bieten hat und ein charismatischer Demagoge wie Hitler hätte, hypothetisch gesprochen, auch in anderen Teilen der Welt einen reichen Nährboden für seine Ideologie finden können.
Eine echte Aufarbeitung der NS-Vergangenheit kann meines Erachtens nur dann stattfinden, wenn man sich selbst von diesem Schuldparadigma löst und sich vorurteilsfrei sowohl die eigene (Familien-)Geschichte sowie die deutsche Geschichte allgemein vor Augen führt. Den Zeigefinger auf Hitler richten nützt ebensowenig wie ihn auf sich selbst zu richten, weil man ja eben Deutscher ist.

Zitat:

Den Opfern unser Mitgefühl bekunden, aber nicht ihr Leid zweckentfremden für die eigene Empörung über ganz andere Sachverhalte!
Ich habe den ursprünglichen Titel nicht gelesen, aber alleine das Kürzel "KZ" zweckentfremdet niemandes Leid, es ist erstmal nur ein Wort.

mrieglhofer 02.10.2012 00:05

Das ist ja das Problem, dass die Aufarbeitung der Geschichte ja hauptsächlich dadurch stattfindet, dass bestimmte Wörter tabuisiert werden. Aber eben nicht mehr. Auch wenn es politisch nicht opportun ist, "Neger" ist so ein Wort. Heute darf man ja nur mehr "Schwarzer" sagen. Neger stammt bekanntermaßen von "negro", welches Schwarz bedeutet. Daher war ein Neger immer ein Schwarzer. Nur deswegen interessant, weil ein schwarzer Reflektor manchmal gebraucht wird. Geanuso wie Silk für einen Diffusor.

Wir kommen damit in die Situation, dass an sich korrekte Wörter nicht mehr verwendet werden können, weil irgendwelche Deppen selbige mißbraucht haben und Gutmenschen dann unreflektiert den Begriff tabuisieren und nicht den Mißbrauch. Und da wehre ich mich schon. Auch das Wort "Beamter" oder "Lehrer" oder "Deutscher" hat Assoziationen, die dafür taugen würden, diese Wörter nicht mehr zu verwenden. Aber die Assoziationen gehen ja nicht weg, wenn ich ein anderes Wort verwende. z.B. MPM für Schwarze.

Auch Konzentrationslager ist an sich ein klarer Begriff, der m.E. mal sehr wohl auf so ein Bild zutreffen kann und Assoziationen weckt. Eine Diskussion übrer solche Begrifffe ist sicher wichtig, aber einfach abdrehen und damit meinen, jetzt passt alles, halte ich für naiv. Daher bin ich dagegen, dass eingegriffen wird, wenn es nicht rechtlich relevant ist. Und Hühner KZ ist ja ein eher gebräuchlicher Begriff, auch wenn ich ihn jetzt auch eher platt finde.

alberich 02.10.2012 00:11

Zitat:

Zitat von nidschki (Beitrag 1369463)
Sorry, aber das ein seichter Allgemeinplatz. Die Angst lebt in den Nachkommen weiter?

Nennt sich transgenerationelle Traumatisierung.

http://www.aerzteblatt.de/archiv/514...beit-notwendig

http://buecher.hagalil.com/2009/11/zweite-generation/

Belfigor 02.10.2012 00:21

@nidschki
danke.

@mriegelhofer
Soweit ich das mitbekommen habe, ist die Bezeichnung Schwarze(r) oder Farbige(r) schon längst nicht mehr politisch korrekt und mindestens genauso daneben wie das Wort Neger. Ich glaub im Moment muss man von »Menschen afrikanischer oder afroamerikanischer Herkunft« sprechen und schreiben, damit sich niemand drüber aufregt. Ist vermutlich nur eine Frage der Zeit, bis das auch wieder nicht passt.


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