Archäologen streiten noch, wie lange der so genannte moderne Mensch (Homo sapiens) bereits über unseren Planeten streift. Jüngere Funde in Marokko, die auf etwa 300 000 Jahre deuten, sind nicht zweifelsfrei belegt. Anders bei „Omo 1“, der nach aktuellen Erkenntnissen wohl vor 233 000 Jahren lebte – und zwar am Unterlauf des Omo, eines 760 km langen Flusses im Südwesten Äthiopiens, der später in den kenianischen Turkanasee mündet.
Es ist nicht einmal klar, ob „Omo I“ Frau oder Mann war, denn man fand 1967 nur Knochen- und Schädelfragmente. Doch bisher gilt er (oder sie) für die meisten Experten als das einzige Fossil, das alle morphologischen Merkmale des modernen Menschen aufweist.
Daneben fanden sich in jenem Tal des Omo auch versteinerte Lebewesenreste der Gattungen Homo habilis, Homo erectus sowie Australipitecus aethiopicus, also unstrittigen Vorläufern des heutigen Menschen. Grund genug für die UNESCO, jene Ebene am Unterlauf des Omo 1980 zum Weltkulturerbe zu erklären.
Eine wesentliche Rolle spielte dabei sicher auch, dass in jedem Omo-Tal bis heute rund zwei Dutzend scheinbar weltentrückte Stämme bzw. indigene ethnische Gemeinschaften leben: Oft splitternackt und in traditionellen Kulturen verfangen, wie sie hierzulande vor allem Erstaunen auslösen – Frauen mit Tellern in den Lippen, Männer mit langen Nägeln im Unterkiefer oder Jugendliche mit Ganzkörperbemalungen, die an Geister erinnern.
Diese Ethnien verständigen sich oft in sehr unterschiedliche Sprachen, sie bauen eigenwillige Brunnen, frönen befremdlichen Bräuchen, Lebensstilen und Initiationsritualen (Mutproben für pubertäre Mädchen und Jünglinge).
Die Stämme heißen etwa Kara, Dassanech, Mursi, Hamar, Ari, Arbore oder Bena, und sie schafften es über Jahrhunderte hinweg, ihre einzigartigen lebendigen Kulturen und Riten zu bewahren. Es ist einfach ungemein faszinierend, diesen Menschen zu begegnen, wie sie völlig selbstbewusst und unbefangen in ihrer eigenen Lebenswelt agieren.

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Kara leben besonders abgeschieden und weitgehend unberührt von der Moderne und gehören traditionellen Religionen an. Ihre Dörfer liegen direkt über dem Omo auf einem Plateau. Umzäunte Grashütten in Igluform mit tiefen Eingängen dienen als Behausung. Nahrungsmittel werden in bienenkorbähnlichen Vorratsbehältern aufbewahrt. Wegen der Hitze wird nur vormittags gearbeitet und am Nachmittag Müßiggang gepflegt.

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Mursi sind nomadische Hackbauern und Rinderzüchter. In ihrer Kultur nehmen Rinder eine große Bedeutung ein. Bekannt sind sie auch für die Lippenteller (dhebi) der Frauen, für die den Mädchen am Ende der Pubertät die Unterlippe aufgeschnitten und zwei untere Schneidezähne ausgeschlagen werden, um hier anfangs kleine und dann immer größere Tonteller einzusetzen, um so die Unterlippe allmählich zu dehnen.

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Hamar sind auch Ackerbauern (Frauen) und Rinderzüchter (Männer). Das Land ist Eigentum des gesamten Stamms, so dass dessen Ressourcen frei für jedermann nutzbar sind. Sie brauen Bier und ihre Krieger und Wachen führen zumeist eine Kalaschnikow (!!) bei sich. Bekannt sind sie für den Bullensprung der jungen Männer sowie eigenwillige Auspeitschrituale bei jungen Mädchen.

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Borena sind nomadisierende Viehzüchter, die einen Teil des Jahres auch in schlichten, flachen, grasgedeckten Hütten verbringen. Sie haben einen eigenen König. Eine Besonderheit der Borena sind ihre „singenden Brunnen“. Das ist eine Ansammlung von Wasserlöchern, aus denen – unter lautem Gesang – die gefüllten Eimer entlang einer langen Menschenkette zu den Tiertränken transportiert werden.

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Dassanech haben eine tiefe Verbindung zu ihrem angestammten Land, das durch ausgedehnte Graslandschaften und Flussufer gekennzeichnet ist. Ihre traditionelle Lebensweise dreht sich um Vieh- und Landwirtschaft sowie Fischerei. Ihr Grundnahrungsmittel ist ein Brei aus Mais oder Sorghum. Sie genießen aber auch Krokodilfleisch und -eier. Als Delikatesse etwa bei Hochzeiten gilt Eselsfleisch.

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Unter neugierigen Kindern in einem Dorf der Dassanech, unmittelbar am Omo-Ufer...