Einzelnen Beitrag anzeigen
Alt 30.07.2014, 22:07   #4
der_knipser
 
 
Registriert seit: 01.04.2008
Ort: Drabenderhöhe
Beiträge: 10.673
Ein Foto ist schon bei der Aufnahme anders als die Wirklichkeit. Glaubst Du nicht? Lass ein Dutzend Leute die selbe Szene fotografieren, und vergleiche die Bilder.

Übrigens habe ich noch nie Elemente aus einem Bild entfernt, dann hätte es ja Löcher. "Wegstempeln" wird zwar oft gemacht, aber eigentlich stempelt man immer etwas HIN.
Ich sehe das Bearbeiten von Bildern immer zweckgebunden, und halte es normalerweise im unauffälligen Rahmen. In Dokumentationen wird außer Sensorflecken eigentlich gar nichts gestempelt. Tonwerte und Kontraste werden eventuell so angepasst, dass man möglichst viele Details erkennen kann, aber das entspricht nicht immer dem gesehenen Eindruck. Bilder mit Gestaltungsanspruch müssen für mich nicht immer exakt die Wirklichkeit zeigen. Eine Bildaussage kann gewinnen, wenn das Bild auf das Wesentliche reduziert wird, und dazu gibt es viele Möglichkeiten. Das beginnt schon mit der Wahl des Ausschnitts, der Brennweite und der Perspektive. Allein damit kann man Dinge in Bezug setzen, oder sie wissentlich weglassen. Und schon ist die Realität dahin, ohne dass man auch nur einen Pixel nachträglich verändert hätte. Die Blende, die Belichtungszeit und deren Kombination kann genauso die Realität verfremden. Offenblende sieht viel weniger als jeder, der zur selben Zeit dort war. Sind Blende-2-Bilder also realitätsfremd? Sind es die verschiedenen Bildwirkungen von Weitwinkel und Teleobjektiv? Man dürfte nur mit einer Normalbrennweite bei mittlerer Blende arbeiten. Soll man Bewegung einfrieren? Oder soll man sie zeigen? Leicht verwischt, oder nahezu unkenntlich verschleiert? Welche Belichtungszeit ist real? Über- oder unterbelichten, ist das erlaubt? Um z.B. genau das eine Detail hervorzuheben, das man gerade sieht? Das der Rest der Welt aber ganz anders wahrnimmt? Was ist mit Infrarot-Fotografie? Oder mit Polfiltern? Oder Graufiltern? Alles realitätsverfremdend? Ja, eigentlich ist das so. Fotografieren ist nur ganz selten real. Und aus diesem Grund erlaube ich mir auch, nachträglich Dinge im Bild so zu gestalten, wie ich es gerne vor Ort schon gemacht hätte, aber aus irgend einem Grund mit technischen und optischen Mitteln nicht hinbekommen habe. Ich versuche, mein Bild nach meiner Wahrnehmung oder auch nur meiner Vorstellung zu gestalten, und dazu ist mir auch der Tonwertregler und der Stempel recht.

Ich habe Verständnis dafür, dass es in der Fotografie Bereiche gibt, die sensibler behandelt werden als andere. Ich verstehe, dass viele Naturfotografen keine nachträgliche Bildbearbeitung mögen. Aber auch sie tun es schon während der Aufnahme. Ich verstehe auch, dass man Architektur auf bestimmte Weise aufnimmt, und störende Elemente entfernt, die mehr oder weniger zufällig "ins Bild geraten" sind. Und ich säubere auch gerne Schmutz aus bestimmten Bildern, ohne dass ich vorher zu Besen und Schaufel greifen muss, weil saubere Bilder manche Motive einfach besser zur Geltung kommen lassen.
Einen See hinmalen, wo keiner ist? Eine markante Landschaft oder Skyline spiegeln? Menschen hin- oder wegstempeln? Es gibt sicher für all das eine Rechtfertigung, und ich wäre überfordert, zu bestimmen wo die Grenze liegt. Fotografie ist es deshalb immer noch, solange das Pixelmaterial mit der Kamera eingesammelt wurde. Kunst oder Künstlichkeit ist es aber auch, weil es zu einem bestimmten Zweck manipuliert wurde. Aber das Thema ist schon so alt wie die Fotografie selbst. Nur heute, mit digitalen Hilfsmitteln ist es schneller geworden. Ob es einfacher geworden ist, bezweifle ich beim Anblick mancher Bilder.
__________________
Gruß
Gottlieb
der_knipser ist offline   Mit Zitat antworten