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Ellersiek 29.01.2017 12:11

Zitat:

Zitat von Harry Hirsch (Beitrag 1888748)
...In unserem Bekanntenkreis...
...Er weiß, dass es falsch ist, aber die beschriebene "Demutautomatik" hat er nach wie vor nicht.

Das reicht, meines Erachtens, auch vollkommen.

Zitat:

Zitat von Harry Hirsch (Beitrag 1888748)
...Ich gehe automatisch in eine Art demütige schämende Haltung (auch innerlich), wenn die Gräueltaten des deutschen Volkes aus jener Zeit, thematisiert werden. Das ist ein Reflex, ich steuere das nicht....

Ich bin Baujahr 63. Habe in den Siebzigern noch einen katastrophalen Geschichtsunterricht* ertragen müssen. Aber diesen Reflex habe ich nicht oder nicht mehr. Ich kann nichts für meine Vorfahren und das was sie getan oder nicht getan haben.

Dafür aber einen anderen.

Den Reflex, dass ich vor all dem, was sich so entwickelt, wie die Nazizeit in ihren Anfängen**, beinahe Angst*** habe. Und wenn ich mir die aktuellen Entwicklungen so anschaue, dann sind es Entwicklungen wie in Ungarn, Polen, England, Amerika, Türkei**** die mir wirklich Angst machen: Das die Anfänge der Nazizeit schon wieder gesellschaftsfähig werden.

Und das wäre mein Wunsch an solche Mahnmale und deren Aufgabe und Wirkung: Wenn wir uns einig sind, dass das, was damals passiert ist, unbeschreiblich falsch war und sich nie wiederholen darf (dem, so denke ich, sollte JEDER zustimmen können), dann lasst uns aus Geschichte lernen und dafür eintreten, dass sich Geschichte eben nicht immer wiederholt.

Zitat:

Zitat von Harry Hirsch (Beitrag 1888748)
...Aber: Kann ich das von der heutigen Generation erwarten?...

Nicht erwarten, wünschen würde ich mir von den nachfolgenden Generationen: Wehret den Anfängen! Wiederholt nicht im Ansatz die Fehler von damals.

Zitat:

Zitat von Harry Hirsch (Beitrag 1888748)
...Die Deutschen sind ein Volk, das den Mut und die Courage hat, sich ein Denkmal in das Herz seiner Hauptstadt zu setzen, um an die Gräueltaten der Vergangenheit zu erinnern und seiner Opfer zu Gedenken.

Voll so unterschreibend.
Und vielleicht noch ergänzend: Generationen der Zukunft: Lernt daraus und wiederholt es nie wieder!

Ich finde auch beides gut: Mich regt es zum Nachdenken an.

Gruß
Ralf

* Da fällt mir auch noch das Fernsehen mit der Reihe Holocaust und Familie Weiss ein.

** Denunziationen, Ausgrenzungen, Intoleranz, Machtgehabe, ....

*** Hatten wir hier mit Schönhuber und Schill auch schon fast wieder. Und in der 90er in Jugoslawien und aktuell in der Ukraine.

****Alles Länder, deren Bevölkerung ich für zivilisiert, vernünftig und größtenteils auch demokratisch gehalten habe.

Blues 29.01.2017 13:43

Bei meinem letzten Berlin-Besuch vor ca. 3 Jahren habe ich auch endlich einmal das Mahnmal in Augenschein genommen. Bis zu diesem Tage war ich der Ansicht gewesen, dass hier wieder einmal Millionen Euronen unnötig versenkt worden waren. Was zur Hölle sollten graue Betonquader mit dem Holocaust und dem Gedenken an seine Abermillionen Opfer zu tun haben? Die Fotos und Fernsehbilder, die ich bis dahin gesehen hatte, transportierten für mich alles Mögliche, sicherlich aber keine Emotionen.
Da stand ich nun auf der anderen Straßenseite und sah diese grauen Blöcke gegenüber vor mir liegen. Schulklassen spätpubertierender Kids tummelten sich lärmend und Selfies schießend vor, auf und zwischen den Quadern. Es gruselte mich. Damit hatte ich nicht gerechnet.

Nach einiger Zeit des skeptischen Abwartens ging ich dann einfach rüber und langsam zwischen den ersten Reihen Steinen hindurch. Immer tiefer ging es hinein, immer weniger hörte man vom Straßenlärm und immer eindringlicher und erdrückender erschienen mir diese toten Steinblöcke. Aus den Perspektiven, die sich an jeder Wegkreuzung ergaben, den verschiedenen Größen der Quader, der trostlosen, einheitlichen grauen Farbe und der Tiefe des Raumes und der unfassbaren Dimension dieses Steinfeldes, wuchsen dann in mir immer mehr Unbehagen, Grauen und am Ende nur noch unendliche Traurigkeit.

Ich kann auch drei Jahre danach jederzeit die Erinnerungen und Gefühle wieder abrufen, die an diesem Ort an jenem Nachmittag auf mich einprasselten. Die Leichenberge, die ich ja nur aus Fernsehbildern kennen konnte, die unvorstellbare Anzahl der im abartigen Rassenwahn getöteten Menschen und die absolute Hoffnungslosigkeit, die Millionen insbesondere in den Konzentrationslagern erleiden mussten, wird für mich an diesem Ort körperlich spürbar bis hin zur Unerträglichkeit.

Wäre mir das mit 16 oder 17 Jahren auch so ergangen? Ich kann mich erinnern, dass uns der Geschichsunterricht seinerzeit zum Halse heraushing. "Er hat wieder vom Krieg erzählt", war damals ein geflügeltes Wort und es wurde nur selten von uns ohne genervtes Augenverdrehen ausgesprochen.

Politsches Bewußtsein und soziale Empathie müssen wachsen, brauchen Zeit zur Entwicklung, brauchen eigene Lebens- und manchmal auch Endlichkeits- und Todesserfahrung im nahen Umfeld. Aus dieser Warte habe ich ein gewisses Maß Verständnis dafür, dass viele Jugendliche an diesem Ort (noch) nicht nachempfinden können, was mich dort qualvoll ausfüllte. Gleichwohl hätte ich es wünschenswert gefunden, wenn vielleicht einmal begleitende Pädagogen, Eltern oder sonstwie mit der Aufsicht betrauten Personen, die ärgsten Krakeler, Kletterer und Selfie-Maniacs ein wenig mehr in Zaum gehalten hätten. Nicht um die "Andacht" anderer Besucher nicht zu stören, sondern weil es sich für mich, in der Welt, die ich gerne hätte, einfach richtiger angefühlt hätte.

Stattdessen wird der Besucher schonungslos damit konfrontiert, dass viele Menschen heute eben nicht mehr respektvoll und angemessen innehalten können, selbst nicht vor dem größten und abscheulichsten Verbrechen der jüngeren eigenen Geschichte. Ich glaube heute auch, dass der Künstler dies genauso beabsichtigt hat. Ergo rege ich mich auch nicht mehr als nötig über die Selfie-Kids auf. Ich weiß ja vor dem Besuch schon, dass ich nicht in eine Kirche gehen werde. Das Mahnmal ist weder heilig noch sonstwie vordergründig sakral. Es ist laut, urban, hässlich, provokant und gibt seine ungeheuerliche Kraft und Intention nur den Sehenden und Wissenden und Wollenden preis.

Ob ich an echter historischer Stätte, wie z.B. Buchenwald oder Auschwitz auch so gelassen reagieren würde auf grinsende Spacken, die sich feixend fürs profane Facebook-Album ablichten, ist mehr als fraglich. Dort würde ich dem Impuls, belehrend und vor allem wütend verbal reinzugrätschen, wohl kaum widerstehen können.

Harry Hirsch 29.01.2017 13:59

Zitat:

Zitat von Blues (Beitrag 1888790)
Wäre mir das mit 16 oder 17 Jahren auch so ergangen? Ich kann mich erinnern, dass uns der Geschichtsunterricht seinerzeit zum Halse heraushing. "Er hat wieder vom Krieg erzählt", war damals ein geflügeltes Wort und es wurde nur selten von uns ohne genervtes Augenverdrehen ausgesprochen.

Oh ja, daran kann ich mich noch gut erinnern. "Die Weimarer Republik und die Machtergreifung Hitlers". Es stand gefühlte zwanzig Mal auf dem Unterrichtsplan und wir konnten es einfach nicht mehr hören.
Ich erinnere mich auch, dass wir damals ziemlich derbe Witze gemacht haben. Jugendliche eben. Wir wussten, dass diese Witze unmoralisch waren, fanden sie aber furchtbar lustig.

Wir haben damals leider keine Gedenkstätte besucht. Rückblickend weiß ich nicht, wie ich mich bzw. wir uns in einer solchen verhalten hätten.
Wahrscheinlich nicht vorbildlich. Und hätte es damals Smartphones gegeben - ja wir hätten jede Menge Selfies gemacht.
Wie gesagt - wir waren ganz normale Jugendliche. Mit dem neo rechten braunen Krams hatten wir aber nix am Hut.

conradvassmann 30.01.2017 08:44

Gerechtigkeit und Fairness darf man sich nicht zurechtbiegen, wie es einem in den Kram passt, darin liegt die Gefahr.
Besonders wenn man meint, die moralische Instanz mit der wohlwollenden Mehrheit im Rücken zu vertreten. Auch das ist unterm Strich nichts anderes als medialer Populismus, auf Kosten Unschuldiger.

ha_ru 30.01.2017 11:02

Danke für die sachliche Diskussion
 
Hallo,

ich finde die Diskussion hat in sehr erfreulicherweise zum Kern zurückgefunden und wollte dafür nur danke sagen.

Hans

matti62 30.01.2017 11:43

Zitat:

Zitat von conradvassmann (Beitrag 1888952)
Gerechtigkeit und Fairness darf man sich nicht zurechtbiegen, wie es einem in den Kram passt, darin liegt die Gefahr.
Besonders wenn man meint, die moralische Instanz mit der wohlwollenden Mehrheit im Rücken zu vertreten. Auch das ist unterm Strich nichts anderes als medialer Populismus, auf Kosten Unschuldiger.

nennt man das nicht "postfaktisch" im Modernen

Dana 30.01.2017 13:48

Zitat:

Zitat von Blues (Beitrag 1888790)

Nach einiger Zeit des skeptischen Abwartens ging ich dann einfach rüber und langsam zwischen den ersten Reihen Steinen hindurch. Immer tiefer ging es hinein, immer weniger hörte man vom Straßenlärm und immer eindringlicher und erdrückender erschienen mir diese toten Steinblöcke. Aus den Perspektiven, die sich an jeder Wegkreuzung ergaben, den verschiedenen Größen der Quader, der trostlosen, einheitlichen grauen Farbe und der Tiefe des Raumes und der unfassbaren Dimension dieses Steinfeldes, wuchsen dann in mir immer mehr Unbehagen, Grauen und am Ende nur noch unendliche Traurigkeit.

Ich kann auch drei Jahre danach jederzeit die Erinnerungen und Gefühle wieder abrufen, die an diesem Ort an jenem Nachmittag auf mich einprasselten. Die Leichenberge, die ich ja nur aus Fernsehbildern kennen konnte, die unvorstellbare Anzahl der im abartigen Rassenwahn getöteten Menschen und die absolute Hoffnungslosigkeit, die Millionen insbesondere in den Konzentrationslagern erleiden mussten, wird für mich an diesem Ort körperlich spürbar bis hin zur Unerträglichkeit.

Politsches Bewußtsein und soziale Empathie müssen wachsen, brauchen Zeit zur Entwicklung, brauchen eigene Lebens- und manchmal auch Endlichkeits- und Todesserfahrung im nahen Umfeld. Aus dieser Warte habe ich ein gewisses Maß Verständnis dafür, dass viele Jugendliche an diesem Ort (noch) nicht nachempfinden können, was mich dort qualvoll ausfüllte. Gleichwohl hätte ich es wünschenswert gefunden, wenn vielleicht einmal begleitende Pädagogen, Eltern oder sonstwie mit der Aufsicht betrauten Personen, die ärgsten Krakeler, Kletterer und Selfie-Maniacs ein wenig mehr in Zaum gehalten hätten. Nicht um die "Andacht" anderer Besucher nicht zu stören, sondern weil es sich für mich, in der Welt, die ich gerne hätte, einfach richtiger angefühlt hätte.

Stattdessen wird der Besucher schonungslos damit konfrontiert, dass viele Menschen heute eben nicht mehr respektvoll und angemessen innehalten können, selbst nicht vor dem größten und abscheulichsten Verbrechen der jüngeren eigenen Geschichte. Ich glaube heute auch, dass der Künstler dies genauso beabsichtigt hat. Ergo rege ich mich auch nicht mehr als nötig über die Selfie-Kids auf. Ich weiß ja vor dem Besuch schon, dass ich nicht in eine Kirche gehen werde. Das Mahnmal ist weder heilig noch sonstwie vordergründig sakral. Es ist laut, urban, hässlich, provokant und gibt seine ungeheuerliche Kraft und Intention nur den Sehenden und Wissenden und Wollenden preis.

Ich betone, dies ist KEIN Vollzitat.

Ich wollte bewusst diese Teile zitieren, denn ich habe seit Tagen überlegt, wie ich meine Gefühle zu dem Mahnmal, das mich jedesmal gefangen nimmt, beschreiben könnte.

Besser als Burkhard nicht. Danke dir. =)

ha_ru 30.01.2017 14:54

Hallo,

danke Burkhardt für die Schilderung deiner Empfindungen dort. Ich war nie dort, kann es daher nur ansatzweise nachempfinden. Und als Teenager wäre es mir sowieso unmöglich gewesen.

Ich zitiere aus einem Interview des Künstlers in der FAZ:
Zitat:

"Du betrittst den Raum, und der Therapeut schweigt. Du mußt reden: The silence makes you speak." Dann soll das Stelenfeld sozusagen der Psychotherapeut der Deutschen sein? "Man kann den Effekt jedenfalls therapeutisch nennen. Sogar wenn hier Sprayer kommen, ist das gut", sagt Eisenman. Er möchte seinen Stelenpark als Ort der Sichtbarmachung von Fragen verstanden wissen, mit einer bewußt stummen Architektur Fragen provozieren, was leider in der deutschen Architektur kaum mehr gemacht werde.
Quelle: http://www.faz.net/aktuell/feuilleto...g-1118767.html

Von daher war Peter Eisenmann klar, dass das Mahnmal auf jeden individuell wirkt, er auf keinen Fall jede Wirkung vorherplanen kann.

Ich habe die Brutalität und den Frieden des Sterbens erleben müssen und dürfen, die Geburt meiner Kinder, ihr Aufwachsen, meine Sorgen um sie, es gibt so viel Dinge die ein junger Mensch noch nicht erlebt hat und deswegen so unbeschwert ist, wie junge Menschen eben sind. Und das ist gut so.

Hans

Irmi 31.01.2017 19:40

Beim lesen der letzten Beträge bin ich zu meinem großen Glück auf Burkhards Beitrag gestossen. Beim lesen kamen mir die :cry:.
Jahre schon überlege ich auch, wie ich mein Empfinden am Denkmal beschreiben sollte.
Lieber Burkhard, du hast mir in Herz und Seele geschaut.

Danke.

@eddy23, danke noch mal für den Link.

Crimson 31.01.2017 21:22

zunächst einmal auch von mir ein Danke für die Worte von Burkhard - auch ich könnte es nicht besser in Worte fassen.

Zitat:

Zitat von Blues (Beitrag 1888790)
Wäre mir das mit 16 oder 17 Jahren auch so ergangen?

damals gab es das Mahnmal noch nicht, aber etwas jünger hat mein Vater mich mit nach Bergen-Belsen genommen. Nicht unvorbereitet, aber ohne große Worte, ohne den Erklärbär zu spielen, er im Hintergrund, ich in seiner Reichweite zwar, aber diese Gedänkstätte auf mich wirken lassen, die in mir damals genau diese von Burkhard so treffend beschriebenen Gefühle ausgelöst hat. Wir waren recht lange dort, auch weil ich mir die Zeit genommen habe, für mich nehmen musste, im Versuch, die Dimensionen zu begreifen, mitzufühlen, traurig zu sein - natürlich das Begreifen betreffend hoffnungslos sich auflösend in der Erkenntnis der unfassbaren Grenzenlosigkeit des Unmenschlichen und dessen Nähe zu einem selbst. Ich war und bin meinem Vater sehr dankbar für diesen Zugang.
Im Grunde kann man jedem Menschen nur wünschen, einen ähnlichen Zugang zu finden, ja, Bewusstsein und Empathie müssen wachsen und sie müssen durch Erleben, Fühlen, Begreifen wachsen.

Die von Eisenman bewusst in Kauf genommene Respektlosigkeit ist nicht leicht zu ertragen, auch wenn er natürlich nicht die Verantwortung für die Respektlosen trägt, das dürfen die schon noch selbst tun. Es zeigt allerdings auch, wie unfassbar schnell so (vermeintlich?) wenige noch sehend und wissende und wollend sind oder sein wollen.


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