Herr Tur Tur |
15.02.2013 12:55 |
Zitat:
Zitat von Traumtraegerin
(Beitrag 1415782)
Nicht nur Amazon geht den Weg, sich in der Hochsaison nach Bedarf Arbeitskräfte zu leihen. Nicht Amazon hat diesen Weg erfunden. Angefangen haben wir vielleicht schon mit den polnischen Spargelstechern, die Jahr für Jahr für ein paar Wochen in unser Land gekommen sind, um tagsüber stundenlang auf den Feldern zu ackern und nachts in maroden und engen Gebäuden zu hausen. Früher waren wir froh über diese billigen Kräfte, die sich für unseren kullinarischen Genuss den Rücken krumm machten. Immerhin ist der Spargel eine sch*** teure Delikatesse und wäre noch teurer, würde man die Leute vernünftig bezahlen. Niemand hat "Skandal!" geschrien. (Heute wandern Deutsche nach Polen, um dort Arbeit zu finden)
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Der Spargel kann nichts dafür, dass er nur 10 Wochen lang/Jahr geerntet werden kann. Auch Trauben lassen sich nicht ganzjährig in einer geregelten 35h-Woche ernten. Amazon kann nichts dafür, dass das Weihnachts- ein Saisongeschäft ist.
Gerade die landwirtschaftliche Saisonarbeit gibt es schon seit Jahrhunderten, das ist doch kein neues Phänomen. Ohne Fremdarbeiter (so hieß das früher) wären große Teile der Landwirtschaft doch gar nicht möglich - oder soll man alles auf den Feldern verrotten lassen, weil es billiger ist, als unmögliche ganzjährige Festanstellungen zu verlangen und zu bezahlen?
Gerade diese "saisonalen Spitzen" sind doch die Bereiche, in denen die Leiharbeit ihre einzige Daseinsberechtigung und Legitimationsgrundlage hat und wo jeder um die Befristung weiß. Leiharbeit ist nicht per se böse!
Das sollte man auch nicht mit Leiharbeitsmissbrauch durch "Arbeitskraftrotationsmodelle" mit leeren Zukunftsversprechungen gleichsetzen und vergleichen, das ist ein anderer Skandal und eine andere Baustelle - die Amazon in exorbitantem Umfang genauso bedient wie "Arbeitskraftintegrationshilfen". (Ich fand es immer eine Riesensauerei, wie in einem Betrieb zur Magnetbandproduktion - mittlerweile pleite - mit der Hoffnung von Leiharbeitern auf eine Festanstellung gespielt wurde.)
Die Kritikpunkte sollten sich denn auch nicht auf die Leiharbeit (für "Produktionsspitzen") an sich, sondern auf die "Begleitumstände" (Lohn, Unterkunft, Verpflegung, Behandlung) beziehen.
Gerade die Lohndebatte ist dann so einfach auch wieder nicht. Ein Bekannter (Stein-/Beerenobst) hatte über Jahre Polen als Erntehelfer beschäftigt. Z.B. Lehrer- und Ärzteehepaare, die im "Urlaub" soviel verdienten wie sonst daheim im ganzen Jahr. Trotz kärglichem Lohn, für den auch vor 25 Jahren so gut wie kein Deutscher aufgestanden wäre. Anständig untergebracht, verpflegt und behandelt - das ist bei einem "Einzelhof" im familiären Umfeld aber auch einfacher als in einem "Massenbetrieb". Heute kommen landwirtschaftliche Saisonarbeiter eher aus Bulgarien oder Rumänien, Polen arbeiten meist nur noch im Spargel- und Weinanbau.
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