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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Droht eine neue Abmahnwelle?


MiLLHouSe
07.12.2005, 23:41
Quelle heise.de (http://www.heise.de/newsticker/meldung/66982)

Urteil: Heise haftet auch ohne Kenntnis für Forenbeiträge

Das Hamburger Landgericht hat eine einstweilige Verfügung bestätigt, nach der es heise online verboten ist, Forenbeiträge zu verbreiten, in denen dazu aufgerufen wird, durch den massenhaften Download eines Programms den Server-Betrieb eines Unternehmens zu stören. Der Heise Zeitschriften Verlag wird damit faktisch gezwungen, sämtliche Beiträge zu den Diskussionsforen im Vorhinein auf diesen Rechtsverstoß hin zu überprüfen. Das Urteil (Az. 324 O 721/05) dürfte gravierende Auswirkungen auf den Betrieb von Webforen und vergleichbaren Diensten haben.

Im vorliegenden Fall sahen das Unternehmen Universal Boards und dessen Geschäftsführer Mario Dolzer ihre Rechte verletzt. Einzelne Forenteilnehmer hatten im Forum zu einem Bericht über die Geschäftspraktiken von Universal Boards ein Skript veröffentlicht, das geeignet sein soll, den Betrieb von Download-Services dieses Unternehmens zu gefährden. Dessen Rechtsanwalt Bernhard Syndikus verlangte daraufhin per Abmahnung vom Verlag, es zu unterlassen, "an der Verbreitung von 'Leserkommentaren' mitzuwirken, in denen wörtlich oder sinngemäß dazu aufgerufen wird, Dateien, insbesondere das Programm 'k.exe', so oft wie möglich von den Servern meiner Mandantschaft downzuloaden, um die Server meiner Mandanten 'in die Knie zu zwingen'".

Der Verlag löschte umgehend die genannten Forenbeiträge, gab aber die geforderte Verpflichtung nicht ab, da er seiner Auffassung nach nur bei Kenntnis der potenziell rechtswidrigen Beiträge handeln muss. Daraufhin erwirkte Universal Boards eine der Unterlassungsaufforderung entsprechende einstweilige Verfügung am Landgericht Hamburg. Den Widerspruch des Verlags gegen diese Verfügung wies das Gericht nach einstündiger mündlicher Verhandlung am vergangenen Freitag ab.

Die Kammer erklärte, sie sei überzeugt, dass der Verlag allein durch die Verbreitung auch ohne Kenntnis für die im Forum geäußerten Inhalte haftbar zu machen sei. Er könne schließlich die Texte vorher automatisch oder manuell prüfen. So wie der Verlag das Forum bisher betreibe, fordere er Rechtsverletzungen sogar potenziell heraus, betonte ein Richter. Es sei nicht hinnehmbar, dass "die in ihren Rechten Verletzten Ihnen hinterherrennen müssen". Den Einwand des Verlags, dass eine automatische Filterung erwiesenermaßen nicht funktioniere und eine manuelle Prüfung jedes Beitrags angesichts von über 200.000 Postings pro Monat schlicht nicht zu leisten sei, ließ die Kammer nicht gelten.

"Sollte sich diese Rechtsprechung durchsetzen, führt das dazu, dass jeder Anbieter, der ungefiltert die Möglichkeit zu Kommentaren bietet, unmittelbar für Rechtsverstöße in den Beiträgen haftet und abgemahnt werden kann", kommentierte der Justiziar des Heise Zeitschriften Verlags, Joerg Heidrich. Davon seien nicht nur Foren, sondern auch alle anderen Web-Kommunikationsformen wie Blogs, Gästebücher oder sogar Chats betroffen. Nach Ansicht von Heidrich steht diese Rechtsprechung im klaren Widerspruch zu dem erklärten Willen des Gesetzgebers und einer EU-Richtlinie, wonach Diensteanbieter gerade nicht dazu verpflichtet seien, die von ihnen nur übermittelten oder gespeicherten Informationen zu überwachen. Auch der BGH gehe in einem Urteil zu dieser Problematik davon aus, dass ein Anbieter nur dann als Störer hafte, wenn zumutbare Kontrollmöglichkeit über die verbreiteten Inhalte bestünden.

Die Auswirkungen des Urteils auf den weiteren Betrieb der Webforen von heise online sind kaum absehbar. "Wir werden Foren schließen müssen, wenn einzelne Teilnehmer über die Stränge zu schlagen drohen, und können wohl zu brisanten Themen generell keine Diskussionsplattform mehr anbieten", sagte Chefredakteur Christian Persson. Der Heise Zeitschriften Verlag hat bereits angekündigt, nach der Zustellung der schriftlichen Urteilsbegründung Rechtsmittel gegen die Entscheidung einzulegen.

Dimagier_Horst
07.12.2005, 23:52
Wer sollte denn da, ausser dem Betroffenen, abmahnen? Also, wo soll die Welle herkommen..... :shock:

Hellraider
08.12.2005, 10:21
Wer sollte denn da, ausser dem Betroffenen, abmahnen? Also, wo soll die Welle herkommen..... :shock:
Von den großen Abmahnern (deren Namen ich hier jetzt nicht nennen werde) zum Beispiel?! :? :flop:

Das ganze ist eh eine Zeitungs- bzw. Online-Ente. Man sollte nicht alles glauben, was man liest. Wäre das Urteil so rechtskräftig, würde es gegen geltende europäische Gesetze und das deutsche TDG verstoßen.

http://www.r-archiv.de/modules.php?name=News&file=article&sid=2164

Dimagier_Horst
08.12.2005, 12:11
Von den großen Abmahnern (deren Namen ich hier jetzt nicht nennen werde) zum Beispiel?! :? :flop:
Das funktioniert in diesem Fall nicht.

Das ganze ist eh eine Zeitungs- bzw. Online-Ente.
Es ist keine Ente. Und auch kein Grund, in eine Hysterie zu verfallen. Also bleibt cool, es interessiert erst einmal nur die Waschfrau...

MiLLHouSe
08.12.2005, 12:14
Ok, will ja auch niemanden verrückt machen, hab's selbst nur gestern in nem anderen Forum entdeckt und dort machten sich die Leute ewig die Gedanken, was jetzt zu tun sei....

Vielleicht bin ich bei dem Zeugs deshalb so nervös, weil unsere Firma selbst schon mal mit recht hohen Kosten abgemahnt wurde (wie viele andere 1000 auch) und wir nicht wirklich was dagegen tun konnten.

esdeebee
08.12.2005, 20:22
Die Frage, ob und in wie weit, Anbieter von Internetzugängen, Diskussionforen etc. für den Unfug verantwortlich gemacht werden können, den Ihre Nutzer so anstellen, ist (fast) so alt wie das Internet.
Meines Wissens hat es bisher noch kein endgültiges Urteil gegeben, das einen Anbieter tatsächlich abstraft.
Klar, Abmahnungen gibt es zu Hauf. Auch die ein oder andere einstweilige Verfügung. Ob die aber alle Bestand hätten, wenn man das tatsächlich durch alle Instanzen ausverhandeln würde, bezweifle ich.

Letzendlich steht über allem die (grundgesetzlich geschützte) Meinungsfreiheit. Und nicht alles, was irgend jemandem nicht passt, kann man so einfach abnmahnen, auch wenns des öfteren versucht wird.
Nur scheuen viele (oft zurecht) die Kosten ,Mühen und Unwägbarkeiten eines langen Prozesses und zahlen lieber.

Klar ist, das ein Betreiber ihm bekannte Aufrufe zu Straftaten ( und als solche kann man die Sabotage eines Severs durchaus werten) nicht dulden darf, ebensowenig tatsächlich strafbare Handlungen (z.B. Vertrieb von geknackter Software, Kinderpornographie etc.). Die schon erwähnte Frage der Überwachung ist dabei aber der Knackpunkt. Hier teile ich nicht die Meinung des Richters. In den meisten Fällen werden Foren ja beobachtet. Nur sitzt da meist kein Jurist, sondern ein Computerspezialist. Und die Menge macht´s zudem. Würde man jeden Beitrag auf Punkt und Komma überprüfen, hätten wir wieder einen Schritt mehr zum Überwachungsstaat und außerdem wäre das dermaßen Personalaufwändig, das es kaum zu bezahlen wäre. Kostenlose Foren gäb´s dann kaum noch.
Hätten in dem hier diskutierten Fall die Personen per Flugblatt oder Brief zum Angriff auf den Server aufgerufen, dann hätte auch niemand die Druckerei oder die Post abgemahnt.
Ich erinerre mich dunkel an einen Prozeß gegen einen Internetprovider, in dem es um Kinderpornographie ging, die über dessen Server verbreitet wurde. Soweit ich weis, sind die Verantwortlichen des Providers letztendlich freigesprochen worden. Die Tatsache, das man ein Werkzeug, Hilfsmittel oder Ähnliches zur Verfügung stellt, macht einen nicht automatisch dafür mitverantwortlich, wenn damit strafbare Handlungen ausgeführt werden.
Ich habe auch noch nie erlebt, das ein Waffenhersteller dafür ins Gefängnis kommt, wenn mit seinen Waffen ein Mord geschieht.
Allein die Tatsache, dass das Internet die Verbreitung von Schrift und Bild beschleunigt und vereinfacht hat, verschiebt noch lange nicht die Verantwortlichkeit für die Inhalte solcher Schriften.
Und in der Regel sichern sich Forenbetreiber durch entsprechende Formulierungen ab - oder etwa nicht.
In einer Zeitung wird auch immer darauf hingewiesen, wenn fremde Meinungen veröffenlicht werden, um sich vor möglichen juristischen Angriffen zu schützen.

Dimagier_Horst
08.12.2005, 20:45
wenn man das tatsächlich durch alle Instanzen ausverhandeln würde
Dazu braucht man doch erst einmal die schriftliche Begründung. Das Ergebnis ist völlig ohne Belang und nichtssagend, wenn man den Weg nicht kennt, den das Landgericht gegangen ist.

darude
08.12.2005, 20:55
Deutschland wie wir es kennen und lieben :roll: :flop: :evil:
Btw., seit wann darf besagter Rechtsanwalt Syndikus eigentlich wieder praktizieren?! Er wurde ja in dem Fall von ftp-welt.de verhaftet weil er da mit drin hing, und in der P2P-Szene mit mehr als fraglichen Mitteln auf "Kundenfang" geht...

esdeebee
08.12.2005, 21:23
Eigentlich ist am Instrument der Abmahnung nix auszusetzen. Sie bietet die Möglichkeit schnell und unkompliziert Rechtsverstöße aus der Welt zu schaffen.
Der Anwalt weist auf einen Rechtsverstoß hin und mahnt ihn ab. Dafür stellt er seine Kosten in angemessener Höhe in Rechnung. Die Gegenseite akzeptiert, stellt den Rechtsverstoß ab und zahlt. Das ist schneller und billiger, als die Gerichte zu bemühen.
Das Problem ist, dass das Internet es leichter macht Dinge zu veröffentlichen, über die man geteilter Meinung sein kann. Zudem ist es viel einfacher geworden, sich auf juristisches Glatteis zu begeben (z.B. durch das Veröffentlichen von urheberrechtgeschützten Dingen - es reicht oft, wenn man Bilder in seine Homepage einbindet, die man nicht selber geschossen hat).
Auf der anderen Seite gibt es Anwälte, die genau dies erkannt haben und als neues, lukratives, Geschäftsfeld nutzen. Hinzu kommt, wie obiges Beispiel zeigt, eine uneinheitliche Rechtssprechung über den Umgang mit Webinhalten. Dazu dann Unternehmen, die ihr Geld unter anderem damit verdienen, dass sie auf diesem Wege Schadensersatzforderungen stellen. Und das kann richtig teuer werden und, wie weiter oben beschrieben, existenzbedrohend werden. Nicht jeder Privatmann oder kleine Unternehmer ist Willens und in der Lage gegen solche Machenschaften Einspruch einzulegen und es auf einen Prozeß ankommen zu lassen.
So wird ein eigentlich nützlich Instrument der deuschen Rechtssprechung ad absurdum geführt. Aus der Rechtspflege wird ein Geschäft.

Hellraider
08.12.2005, 21:24
wenn man das tatsächlich durch alle Instanzen ausverhandeln würde
Dazu braucht man doch erst einmal die schriftliche Begründung. Das Ergebnis ist völlig ohne Belang und nichtssagend, wenn man den Weg nicht kennt, den das Landgericht gegangen ist.

Hast Du mal in den von mir geposteten Link reingeschaut? Da steht die genaue Begründung drin und weiterhin, das dieses Urteil nicht allgemein "verbindlich" ist, sondern nur für diesen einen speziellen Fall gilt.

meshua
09.12.2005, 02:01
Einmal mehr ein vorzügliches Beispiel für die Inkompetenz der Gerichte und manch einer ihrer sog. 'Fachgutachter':

"Den Einwand des Verlags, dass eine automatische Filterung erwiesenermaßen nicht funktioniere und eine manuelle Prüfung jedes Beitrags angesichts von über 200.000 Postings pro Monat schlicht nicht zu leisten sei, ließ die Kammer nicht gelten."

Abgesehen davon, daß ich mir ebenso keine wirksame Filterung vorstellen kann bleibt noch die Frage, wie weit man noch von einer Vollzensur von Meinungen entfernt ist. Wenn jemand ein Hakenkreuz an eine Hauswand malt, bekommt doch auch nicht der Hausbesitzer eine Abmahnung mit dem Hinweis, er hätte ja 24h am Fenster hocken können um dies wirksam zu unterbinden. Manchmal sind die Argumentationen der Richter einfach hahnebüchend.

Grüße, Torsten.

mir
09.12.2005, 18:55
Diese übliche Urteilsschelte ist ein bisschen billig. Man sollte sich schon erst mal die Details ansehen, bevor man immer über "die doofen Gerichte" jammert. Leider führt häufig erst die Verkürzung von Urteilen dazu, dass es so unverständlich wird. Merkwürdige Gerichtsurteile sind aber eben häufig auf merkwürdige Einzelfälle bezogen, und wenn man sich alles ansieht, dann wird es klarer. Also ...

Zum einen, noch ist das ganze lediglich eine einstweilige Verfügung. Dabei wird nur "summarisch geprüft" und wenn im Eilverfahren keine eindeutige Entscheidung möglich ist, darauf abgehoben, wer vom Konfliktfall stärker betroffen ist. Eine Urteilsbegründung habe ich noch nicht gesehen, man kann also erst mal nur spekulieren. Vielleicht war das Kriterium ja schon, dass illegale Downloads sich nicht mehr rückwirkend kontrollieren lassen, während auf der anderen Seite Heise von den Foren wohl nicht wirtschaftlich abhängig ist.

Einstweilige Verfügungen dieser Art dürften wenig Beachtung bei anderen Gerichten finden. Aber, was fies ist, der Kläger kann sich bei solchen Streitigkeiten den Gerichtsbezirk quasi aussuchen, weil ja der Tatort überall ist.

"Den Einwand des Verlags, dass eine automatische Filterung erwiesenermaßen nicht funktioniere und eine manuelle Prüfung jedes Beitrags angesichts von über 200.000 Postings pro Monat schlicht nicht zu leisten sei, ließ die Kammer nicht gelten."

Das wiederum finde ich nur konsequent, Wenn Du rückwärts aus einer Ausfahrt in dichten Verkehr fährst, wird der Einwand "das ging ja nicht anders" auch wenig Beachtung finden. Und die Politesse interessiert auch nicht, ob Du nirgends anders parken konntest oder wie auch immer. Entweder muss der Forenbetreiber im voraus prüfen, oder er muss es nicht. Ob das zu aufwendig ist, darauf kann's nicht ankommen. Auch wenn uns die Argumentation nicht gefallen mag, es gibt ja keine Verpflichtung, Foren ins Internet zu stellen.

Außerdem (aus dem Link von Hellraider):

"Insbesondere aber aus der Vorgeschichte des Falles, welche deutlich mache, dass der streitgegenständliche Vorgang - nicht - der erste Vorgang (dieser Art) gegen den Geschäftsführer der Klägerin oder seine Firmen sei - der von den Foren des beklagten Heise- Verlages ausginge - sei es der Klägerin nicht weiter zumutbar - immer wieder rechtswidrige Angriffe - erst nachträglich durch die Beklagte beseitigen zu lassen"

Das stellt die Sache doch schon anders dar. Letztlich geht es hier um die Rechtsfrage, ob ein Forenbetreiber, wenn sich schon immer wieder Rechtsverstöße ereignet haben, er dann nicht wenigstens in Zukunft gleichartige Verstöße verhindern muss. Und das finde ich eine ziemlich knifflige Frage.

Weiß jemand, ob der Forenbetreiber bei sowas auf den ursprünglichen Verfasser des Beitrags schadensersatzmäßig zurückgreifen kann?

Ob da ganze Bestand haben wird ... Heise scheint ja entschlossen zu sein, das komplett durchzuklagen. Schaun ma mal, dann seh' ma scho' :-)

Echidna
10.12.2005, 12:35
Diese übliche Urteilsschelte ist ein bisschen billig. Man sollte sich schon erst mal die Details ansehen, bevor man immer über "die doofen Gerichte" jammert.
Da hast Du vollkommen recht. Viele Leute, die über "die Gerichte" oder noch besser "die Justiz" schimpfen, haben noch kein Urteil im Original gelesen und kennen die Entscheidung, über die sie mosern, nur aus der Zeitung, dem Fernsehn oder von anderen Dritten (die sie kommentieren, bevor überhaupt die schriftliche Urteilsaufertigung erstellt ist). Sicher gibt es Urteile, da würde man schon gern wissen, was den Entscheidern bei der Abfassung durch den Kopf ging.

Aber käme jemand auf die Idee ein neues Automodell oder eine Kamera in Grund und Boden zu verdammen, wenn noch nicht einmal das erste Modell vom Band ist, lediglich die Ankündigung des Produkts vorliegt?

Nur damit sich jetzt keine/r hier angegriffen fühlt. Dies ist nur eine allgemeine Anmerkung zu mirs Bemerkung über die Urteilsschelte. ...und nein, ich bin kein Richter. ;)

Gruß

Echidna