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Moin, moin,
der Heldenplatz in Wien in politisch schwierigen Zeiten - 2016...
1027/IMG_4055.jpg
Dat Ei
Moin, moin,
da mich das Bild sehr beschäftigt und es mir sehr am Herzen liegt, möchte ich ein paar Sätze zu dem schreiben, was man sieht. Das Bild ist sicherlich nicht leicht zu erfassen und manch einer fragt sich, was er sieht, und was dieses Kracklige sein soll.
Der Heldenplatz in Wien ist ein historischer Platz und liegt gleich an der Hofburg, die bis 1918 die Residenz der Habsburger war und seit 1945 als Amtssitz des Bundespräsidenten dient. Am 15 März 1938 verkündete Adolf Hitler vom Balkon der Neuen Hofburg den "Anschluß Österreichs" an das Deutsche Reich.
Auf diesem Heldenplatz steht das Reiterdenkmal Erzherzog Karls, das man auf dem Bild sieht, und das der Glorifizierung der Dynastie und des Militärs diente. Es wurde 1860 enthüllt. Kurz zuvor unterlag Österreich Italien und Frankreich in der Schlacht von Solferino. Man kann sagen, dass an diesem Platz viel Geschichte vereint ist, gemacht wurde und auch noch gemacht wird.
Seit ein paar Jahren feiert man dort alljährlich das "Fest der Freude", einer Feier anläßlich der Befreiung Österreichs vom NS-Regime am 8. Mai 1945, einem Tag nach der bedingungslosen Kapitulation der deutschen Wehrmacht. Feste Bestandteile des Festakts sind ein Auftritt der Wiener Symphoniker, aber auch eine Rede eines Überlebenden des Holocausts.
Als wir dort am 5.5. waren, wurde gerade die Bühne für die Feierlichkeiten aufgebaut. Das Gekrickel ist nicht in der EBV entstanden, sondern stammt von den Kunststoffvorhängen rund um die Bühne. Durch sie hindurch habe ich das Reiterdenkmal photographiert. Ansonsten wurde das Bild nur nach S/W konvertiert.
Mich hat die Szenerie irritiert und auch verstört. Auf der einen Seite militärische Glorifizierung, auf der anderen Gedanken an die Opfer des Faschismus. Auf der einen Seite Erinnerungen an die europäischen Kriege, auf der anderen Seite die aktuelle Flüchtlingspolitik in Österreich und in Europa. Auf der einen Seite der Sitz des Bundespräsidenten, auf der anderen Seite eine kurz bevorstehende Stichwahl, bei der ein Rechtspopulist zur Wahl steht und droht zu gewinnen. Und Österreich ist hier nur ein Beispiel. Die Rechtspopulisten sind in vielen Ländern auf dem Vormarsch.
Die Folie mit ihren Knicken, Falten und Rissen wird fast zur Metapher. Fehlt uns der Durchblick? Ist unser Blick auf die Geschichte schon wieder getrübt und verklärt? Erkennen wir nicht die Reiter am Horizont? Quo vadis, Europa? Wenn ich an die Diskussionen mit und rund um Erdogan oder an die bevorstehende Brextit-Abstimmung denke, wird mir schummrig.
Dat Ei
Im Sinne der Forums-Regel werde ich nicht zu viel (politisches) schreiben: vielen Dank für das tolle Bild und den absolut passenden, nachdenklich machenden, Text dazu!
Huhu!
Auch ohne den Text wirkt das Bild auf mich wunderbar. Ich hatte es lediglich noch nicht entdeckt. Der Text zeigt nur noch, wie reflektiert du fotografierst. Kein reines Bauchgefühl, sondern auch noch Kopfsache.
Das Bild hat wundervolle Strukturen, dieser Schattenwurf ist genial und macht das Foto sehr besonders. Mir gefällt es!
Und die letzten beiden Abschnitte sind wunderbar geschrieben. Meine Bewunderung.
Hallo Frank,
allem, was Du geschrieben hast, schließe ich mich uneingeschränkt an. Man hätte es besser nicht machen können.
Wie Dana auch sagt, finde ich Deine Beschreibung und das dazugehörige Foto sehr, sehr gut.
Ich könnte es so nicht schreiben.
Ganz kleiner Hinweis noch:die "bevorstehende" Stichwahl war ja bereits am Sonntag und hat am Montag ein Ergebnis gebracht, das hoffentlich für Österreich und Europa gut ist.
Moin, moin,
die Bezeichnung "bevorstehende Stichwahl" war just dem Datum geschuldet, an dem die Aufnahme entstand (5. Mai 2016). Zwar hat das Ergebnis erstmal größeren Schaden abgewendet, aber leider turnen europaweit zu viele Ähnlich- oder Gleichgesinnte herum. In Deutschland erwarten wir in 2017 eine Schicksalswahl.
Und was mir richtig Sorge macht, ist, wie inflationär mit der Titelierung Nazi um sich geschmissen wird. Wird nicht bereitwillig Geld nach Griechenland überwiesen, plakatiert eine Angela Merkel mit Adolf-Bärtchen die griechischen Gazetten. Stellt man Deutschland Fragen, wie wir angesichts des eh schon sehr angespannten Wohnungs- und Arbeitsmarktes, eines angeschlagenen Bildungs- und Gesundheitssystems etc. pp. perspektivisch mit weiteren ein, zwei Millionen Menschen umgehen, deren Integration kein Spaziergang sein wird, wird man umgehend in die rechte Ecke gestellt. Wer so die politische Mitte neu definiert und die alte ins Abseits stellt, braucht sich nicht wundern, dass manche die aktuelle Koalition als das eigentliche und wirkungsvollste Wahlprogramm der Rattenfänger ansehen. Ängste, Sorgen und Fragen der eigenen Bevölkerung darf man auch nicht zwingend und mit einem Federwisch mit ausländerfeindlichem, nationalistischem oder gar nationalsozialistischem Gedankengut gleichsetzen. So kann man auch eine Gesellschaft spalten.
Dat Ei
Hallo Frank,
mit diesem Bild ist Dir eine eindrucksvolle Metapher der düsteren Zukunft Europas gelungen. Deinen Erläuterungen kann ich mich voll anschließen. Ich gehöre mittlerweile der älteren Generation an und höre gelegentlich, wir hätten das "Glück der früheren Geburt". Ich hoffe aber immer noch, dass sich die Geschichte nicht wiederholt...
Bin ganz bei dir DatEi...:top:
Das Bild ist sicherlich nicht leicht zu erfassen und manch einer fragt sich, was er sieht, und was dieses Kracklige sein soll.
Das Gekrickel ist nicht in der EBV entstanden, sondern stammt von den Kunststoffvorhängen rund um die Bühne. Durch sie hindurch habe ich das Reiterdenkmal photographiert. Ansonsten wurde das Bild nur nach S/W konvertiert.
Die Folie mit ihren Knicken, Falten und Rissen wird fast zur Metapher. Fehlt uns der Durchblick? Ist unser Blick auf die Geschichte schon wieder getrübt und verklärt? Erkennen wir nicht die Reiter am Horizont?
Dat Ei
Für die Wenigen, die dieses Motiv noch nicht ohne Klarsichtfolie gesehen haben:
1027/DSC01263_ShN_1200_flickr.jpg → Bild in der Galerie (http:../galerie/details.php?image_id=191448)
Servus
Gerhard
tummefoton
03.06.2016, 10:48
Ja, ein Photo mit viel Aussagekraft, für mich tatsächlich auch unabhängig von dem Standort des Denkmals.. .- Den Anmerkungen kann ich mich zum größeren Teil anschließen, irritierend allerdings für mich immer wieder, den "Tag der Befreiung vom Nationalsozialismus " zu inszenieren und anscheinend zu verdrängen, dass man dieser Ideologie samt Anschluss des Landes an Hitlerdeutschland doch 1938 ganz überwiegend frenetisch jubelnd noch gefeiert hatte.. . Hmm.- Ansonsten mag darauf verwiesen werden, dass das bis in die napoleonische Zeit bestehende erste "Römische Reich Deutscher Nation" ohnehin eine "Einheit" inklusive der österreichischen Ländereien war mit Wien als Hauptstadt der deutschen Gebiete. Und nach dem ersten Weltkrieg entschied sich die österreichische Bevölkerung per Referendum mit überwätigender Mehrheit für den Anschluss an Deutschland, was aber an dem Veto der Siegermächte scheiterte. Der Österreicher Hitler holte das zur Freude des größten Teils der dortigen Bevölkerung dann 1938 nach.- Der Begriff der "Befreiung" erweckt aber hier wie dort einen hübsch übersichtlichen Opferstatus, der von der eigenen Verantwortung in nach meinem Empfinden unzulässig bequemer Weise ablenkt, alle werden so irgendwie noch zum "Opfer". Wie schön.. .- Gruß Heiko
Die große senkrechte Falte(?) links vom Reiter lenkt zieht meinen Blick sehr stark an und lenkt dadurch ab. Ansonsten hast Du eine schöne Idee gut umgesetzt.
Moin, moin,
eine rückwärts gerichtete Diskussion, die sicherlich sehr kontrovers und emotional ausfallen würde, wollte ich hier nicht anstreben. Wer einmal die Inschrift auf dem Gedenkstein am Mexikoplatz in Wien gelesen hat, bekommt ein Gefühl für die Schwere der Problematik. Wichtiger als die Klärung der Schuldfrage oder eine Schuldzuweisung ist die Konklusion, die alle(!) aus der Geschichte gezogen haben und ziehen. Das ist es, was uns heute beschäftigen, aber auch fürchten sollte.
@Steffen: Ich kann mit der Falte wunderbar leben, denn das Bild darf nicht hübsch, glatt oder gar bequem sein.
Dat Ei
@Steffen: Ich kann mit der Falte wunderbar leben, denn das Bild darf nicht hübsch, glatt oder gar bequem sein.
Eine erwartbare Antwort :lol:, die aber nichts an meinem Bildeindruck ändert. Die unregelmäßigen Strukturen tun dem Bild gut, davon könnte es ruhig sogar mehr geben, die Falte lenkt ab. Aber das ist offenbar nur meine Meinung, was auch völlig in Ordnung ist.
Moin Steffen,
Eine erwartbare Antwort :lol:,...
inwieweit erwartbar? Weil ich renitent / beratungsresistent erscheine? Oder weil die Falte nun mal schlicht da war und nun schön geredet und verargumentiert werden muss?
Dat Ei
Moin Steffen,inwieweit erwartbar? Weil ich renitent / beratungsresistent erscheine? Oder weil die Falte nun mal schlicht da war und nun schön geredet und verargumentiert werden muss?
Letzteres, vor allem in Zusammenhang mit der ausführlichen Erklärung zum Bild. :)
Interessant wäre ja:
Hast Du
a) die Falte bewusst ins Bild genommen?
b) war sie da und sie hat Dich aber nicht gestört?
c) sie hat Dich eigentlich schon gestört, das Bild war aber anders nicht möglich?
Ich kann mit unterschiedlichen Meinungen sehr gut leben, ich bin aber nicht so sehr der Freund von Fotografen, die immer sagen, das war genauso gewollt, obwohl sie sich innerlich selbst im Nachhinein über ein Detail im Bild ärgern. Letzteres will ich Dir aber keinesfalls unterstellen, ich weiß es schließlich nicht. Vielleicht gefällt Dir die Falte tatsächlich, dann wäre ja alles schlüssig und wir einfach unterschiedlicher Meinung bei der Bildgestaltung.
Moin Steffen,
Interessant wäre ja:
Hast Du
a) die Falte bewusst ins Bild genommen?
nein, der Blickwinkel und der Ausschnitt hatten die oberste Priorität.
b) war sie da und sie hat Dich aber nicht gestört?
Ich habe sie genau wie die anderen Knicke und Risse in der Folie als Störelement gesehen.
c) sie hat Dich eigentlich schon gestört, das Bild war aber anders nicht möglich?
Wie bei a) bereits gesagt, hatten Blickwinkel und Ausschnitt Priorität.
Dat Ei
Moin, moin,
ich hatte gehofft, dass nach der Bundespräsidentenwahl ein wenig Ruhe einkehrt, aber nun scheint die FPÖ Klage einzureichen.
Dat Ei
Das scheint nicht nur so - die Anfechtung ist bereits beim Verfassungsgerichtshof eingelangt. Leider erlauben es die Forenregeln nicht, dass ich hier kundtue, was ich von diesem Manöver der FPÖ halte ;)
Ich weiß nicht, wie ich es nicht zu politisch ausdrücken soll, was ich denke, von daher lass ich es mal.
Oder so: Sollte die Wahl wiederholt werden müssen, hoffe ich auf eine krachende N.....lage für die F..
Moin Frank,
erste Frage: was gilt es zu kritisieren? Das Bild in #1? Den Text in #2? Den Text in #7? Oder eine Kombination?
Das Bild alleine funktioniert (bei mir) nicht, in Kombination mit dem Text aus #2 allerdings sehr wohl und sehr gut (womöglich auch in gekürzter Fassung)- und vor der Kombination #1 + #2 ziehe ich (mal wieder) meinen imaginären Hut - solange ich #7 ausblende, denn da wird viel Reflektion mit dem groben Spaten erschlagen, schade.