Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Ich sehe was, das Du nicht siehst.
alberich
09.01.2013, 00:52
Angeregt durch den Thread "bessere Technik - Bildqualität und so..." möchte ich hier mal ein paar Anregungen zur evtl. Inspiration für den/die Strauchelnde(n) anbringen.
Das Thema ist ja nun reichlich komplex und sicher nicht in ein paar Sätzen abzuhandeln. Nicht umsonst gibt es unzählige Bücher zum Thema. Aus allen Blick- und auch in allen Geschmacksrichtungen.
Darum soll es jetzt auch nicht um das ewige Gebrabbel gehen, "Wie mache ich bessere Bilder?", "Wie hole ich alles aus meiner Kamera heraus?, "Photoshop Galore" und so weiter und sofort. Das gibt es ja schon reichlich.
Nein, es soll einfach nur um das gehen, was davor liegt und nach meiner Ansicht wesentlich entscheidender dafür ist, was hinten rauskommt, als jede noch so elaboriert vorgetragene Technikdiskussion. Am Ende geht es um Brennweite,Blende und Zeit. Fertig. Der Rest ist gute Unterhaltung, aber bei weitem weniger relevant für das "befriedigende Bilderlebnis" als gemeinhin leichtfertig vermutet wird.
Also kurz gesagt "Wichtig is' aufm Platz":)
1. Watt isse nun also 'nen Bild?
Da stell'n wa uns ma janz dumm.
Einfach gesagt, ist es eine zweidimensionale Abstraktion einer subjektiv wahrgenommenen 4 dimensionalen Wirklichkeit, die man zu allem Überfluss auch noch mit all seinen Sinnen wahrnimmt.
Da kommen schon die ersten Probleme. Man befindet sich also in einer subjektiv wahrgenommenen Wirklichkeit, die man sieht, hört, riecht, schmeckt.... die man fühlt. Das alles gilt es nun also in eine zweidimesionale Form zu pressen, die man danach leider auch nur noch mit einem Sinn erfassen kann, nämich den Augen. Möglicherweise kann man als Add-On am Ende noch, über ein bestimmtes Papier, etwas taktiles hinzufügen. Aber so richtig funktioniert nur "Gucken". Und das heutzutage auf zahllosen Monitoren in unterschiedlichsten Größen, kalibriert unkalibriert D50, D65 oder was auch immer.
Hm. Ziemlich heillose und rudimentäre Voraussetzungen um ein so ganzheitliches Erlebnis umzusetzen. Aber nun gut. So ist das nun einmal mit der Fotografie. Das ist der Deal.
So wird schon nach kurzer Zeit klar, dass hier mit Kompression und Abstraktion gearbeitet werden muss. Anders ist all das nicht in diese zweidimensionale Form zu pressen.
Kompression? Ja. Anders gesagt, "Verdichten".
Und wie? Durch Abstraktion.
Und wie?
2. Wieso? Weshalb? Warum?
Wie funktioniert das z.B. mit Erinnerungen? Denn auch das sind Bilder, innere Bilder.
Wir erinnern uns an einen Tag auf dem Schulhof. Wir waren in der 3. Klasse. Wir erinnern vielleicht unseren ersten Schwarm, unseren ersten vermeintlichen Feind, die Stufe an der wir uns immer gerne mal wieder das Schienbein zerbröselt haben, an das Wetter an dem Tag als wir unserem ersten Schwarm genüber zum ersten Mal unangenehm auffällig wurden. All das erinnern wir und sehen es als inneres Bild. Wissen wir aber noch, was der Typ hinter dem Schwarm für Sandalen trug? Waren die braun? oder doch dunkelrot? Welcher Typ überhaupt? Keine Ahnung. Der Papierkorb hinter dem jämmerlichen Versuch von Baum in der Mitte des Hofes? War der Orange? Wahrscheinlich. Kann aber auch blau gewesen sein. Weiß man nicht mehr. Macht aber nix. Der Schwarm ist klar erkennbar, das Wetter usw. Das Bild lebt in uns, auch ohne all die Details. Und warum? Kompression. Verdichtung durch Abstraktion. Das unwesentliche wird weggelassen und das Entscheidende wird gespeichert.
Genau so verhält es sich auch mit einem fotografischen Bild.
Nächstes Problem. Die Erinnerung macht das ganz von alleine mit der Verdichtung. Der Fotograf muss vorher den Kompressionsfaktor festlegen und auch all das was gespeichert werden soll und was nicht.
Tja aber was?
Genau. Was denn eigentlich?
Dafür ist es wichtig zu wissen "Warum"? Nur wenn man weiß "Warum", dann kann man sich auf den Weg zum "Was bleibt und was kann gehen" machen.
Ein Beispiel:
Wir stehen auf einer Wiese und da steht ein Baum. Es ist Winter. Keine Blätter am Baum, schmieriges graues Wetter, trostlos. Also Heute.
Was also machen?
Hochkant und Formatfüllend mit einem 35er?
Querformat mit einem 24er im goldenen Schnitt? Oder doch mittig?
Mit einem 300er aus größerer Entfernung und damit bessere Möglichkeit zur optischen Verdichtung und Freistellung?
Oder doch eher Close-Up? en Detail?
Möglicherweise sogar Makro?
Mit Blitz vielleicht oder doch einfach nur mal so dokumentarisch draufhalten auf die alte Stelze?
Fragen über Fragen.
Hier kommt jetzt das "Warum" ins Spiel, und das auch mehr als nur gelegen. Ich muss mich damit auseinandersetzen warum ich das Ding fotografieren möchte. Was mir wichtig ist. Wenn ich den Baum als Symbol für Einsamkeit fotografieren möchte, gehe ich anders zu Werke als wenn es um Beständigkeit und eine überdauernde Kraft geht. Oder aber vierlleicht verdeutlicht er eher eine gefährdete Spezies? Oder ist er nur im Weg? Es gibt also unzählige Mögichkeiten diesen Baum zu "instrumentalisieren". Er kann für so vieles stehen, und ich, der Fotograf, ist derjenige der nun entscheiden muss wofür er in dem folgenden Bild stehen soll. Wenn ich dieses "Warum" in mir gefunden habe, dann ist es keine große Sache mehr die Brennweite und das Format zu finden. Denn nun habe ich ein Warum aus dem sich das Wie ergibt.
Zu glauben man möchte "einfach nur den Baum" fotografieren geht in die Hose. Das geht nämlich nicht. Den Baum kann man nur abstrahieren, den der wahrgenommene Baum besteht aus all den Eindrücken drum herum in diesem Moment und nicht nur aus der reduzierten Form seiner selbst. Fotografiere ich also einfach nur den Baum bin ich gekniffen, denn ich habe am Ende ein grundloses Fotoo von einem kahlen Baum bei Schietwetter. Belanglos.
Auch das kann ein Thema sein. Belanglosigkeit. Aber dann muss ich eben auch diese inszenieren. Dann muss sie sichtbar werden und sich nicht nur aus Mangel an Deutungsalternativen beim Betrachter einstellen.
Das Beispiel funktioniert übrigens auch mit Kaffeetasse, Haarföhn oder auch Schraubenschlüssel (Maul oder Ratsche). Entscheidend ist nicht was ich sehe, sondern wie ich es sehe und interpretiere. Das macht das Bild. Wenn ich all das weiß kann ich auch jemanden holen, der auf den Auslöser drückt, denn das Bild ist ja schon fertig. Die entscheidende Arbeit ist nicht das Bild zu machen, sondern es zu finden.
Ein schönes Experiment ist auch unter Einfluss unterschiedlicher Musik Bilder zu machen. Höre ich auf einem Spaziergang Jean-Baptiste-Lully (http://www.youtube.com/watch?v=Sy-yugPw_X8) mache ich andere Bilder, als unter Einfluss von Dead Kennedys (http://www.youtube.com/watch?v=0blJ4y8z4-c) oder Brian Eno (http://www.youtube.com/watch?v=AWP7CchR4WQ).
3. Ich sehe was, das Du nicht siehst.
Oft hört man ja, "Ich weiss nicht was ich fotografieren soll.", "ich sehe das nicht was andere so sehen" usw.
Ja. Das liegt aber oftmals nur daran, dass man versucht, das zu fotografieren was die anderen sehen. Nur wie soll man denn fotografieren, was ein anderer sieht? Das muss scheitern und am Ende zu Frustration führen.Jeder sieht etwas, was kein anderer sieht. Also muss man herausfinden was man selber sieht und dem sollte man vertrauen.
Zwei gucken auf eine Kerze auf dem Tisch. Jeder sieht die Kerze, aber für jeden hat sie eine andere Bedeutung. Jeder hat eigene Erinnerungen, die er damit verbindet und somit sehen beide zwar die gleiche Kerze aber eben nicht die "selbe". Und diese "eigene" Kerze ist der Gegenstand des Bildes. Nicht die universelle Kerze. Nein, die eigene ist es. Und machen nun beide ein Bild von der Kerze sehen wir auf jedem Bild die gleiche Kerze, aber eben auch hier nicht die "selbe". Das ist es worum es bei der künstlerischen Fotografie geht. Am Ende gibt es eine zweidimensionale Version von einem Ausschnitt der Wirklichkeit wie ich sie wahrgenommen und verdichtet habe. Und wenn ich danach meine eigene, subjektive Wirklichkeit im Bild wiederfinde, ja, dann ist es ein gutes Foto.
Zu allem Überfluss können nun erneut zwei andere Menschen auf die Bilder der Kerze blicken und der Spaß beginnt von vorne. Erneut sehen beide die gleichen Bilder aber eben nicht die "selben".
Aber das ist wieder ein anderes Thema....."Wieso siehst Du nicht, was ich doch sehe?"
Ich könnte jetzt noch weitermachen aber das soll es erstmal gewesen sein.
Vielleicht regt es ja den einen oder die andere an, mal aus einem anderen Blickwinkel darüber nachzudenken , wenn er mit der Kamera rausgeht und Bilder macht.
Ich hoffe es war kurzweilig.
Aber bei Texten ist es wie bei Bildern. Alle lesen das gleiche aber...na ja....das hatten wir ja jetzt zur Genüge....
:-)
DAS....lese ich sicher noch mehrfach.
Danke dafür. Einfach nur danke.
Hansevogel
09.01.2013, 09:27
:top: :top: :top:
Ich habe mir erlaubt, den Text zu kopieren und in eine Textdatei zu packen, um ihn auch ohne Internet lesbar zu haben. :D
LG aus Hamburg: Joachim
:top::top::top:
Hoffentlich folgt noch mehr.
Gruß Günter
Moin, moin,
seit langer Zeit mal wieder ein Posting, das ein Lichtblick ist. Aber in Zeiten von Handbuch-Verweigerern befürchte ich, daß auch dieses Posting zu lang und möglicherweise zu abstrakt ist, um gelesen zu werden und die entsprechende Würdigung zu erfahren.
Das Sehen ist nicht ein optischer, sondern ein kognitiver Prozeß. Aus diesem Grunde ist er und sein Ergebnis auch subjektiv. Das, was wir sehen, was wir ablichten, hat eine Wirkung auf uns, die wir Wirklichkeit nennen. Sie erinnert nur an die Realität, wird sie aber nie sein. Sie ist nur eine der unendlich vielen Ausprägungen der Realität.
Gelungene Bilder vermitteln auf der kognitiven Ebene ihre Wirklichkeit und die Wirkung des Gesehenen auf den Photographen; sie lassen den Betrachter die Wirkung nachempfinden.
Sicherlich ist ein Photo durch die Reduktion von vier auf zwei Ebenen zu einem Teil immer eine Abstraktion. Aber das Photo kann auch mehr leisten. Manche Motive bekommen erst durch das Photographieren eine eigene Wirklichkeit, weil sie durch unser Sehen und den damit verbundenen kognitiven Prozeß nicht wahrgenommen werden oder gar wahrgenommen werden können. Als Beispiele seinen hier Langzeitbelichtungen, ultrakurze Belichtungen von schnellen Vorgängen oder Aufnahmen mit großer Schärfentiefe genannt, bei denen das Auge in aller Ruhe die Dinge nacheinander anfokussieren und betrachten kann, die sonst im Augenblick der Zeit nur selektiv wahrgenommen werden können, denn auch das Hirn schützt sich selbst vor der Informationsflut des Sehens durch Abstraktion und Ausfiltern.
Dat Ei
Hallo Alle
Sehr gutes Posting.:top::top::top:
Claudia-Evelyn
09.01.2013, 10:42
:top::top::top:
alberich: Sehr schön formuliert und durchdacht beschrieben! :top: :top:
Aber den Titel "Ich sehe was, was Du nicht siehst" hatte ich vor 2 Jahren benommen. Als Titel meiner Vortragsreihe über Infrarotfotografie. :D ;)
Marco,
sehr schön geschrieben. Und ja, kurzweilig war es auch.
Zum Punkt "ich sehe nicht, was andere sehen": Natürlich stimmt es, dass man nicht genau das sehen kann, was andere sehen und dies auch nicht versuchen sollte.
Jedoch gibt es gerade als Anfänger auch einen anderen Aspekt. Nämlich zu lernen, genauer hinzusehen. Denn es gilt ja oft, in den entsprechenden Szenen die Details zu entdecken, die das, was ich zeigen will evtl. abstrahieren könnten. Also eher ein Frage der "Sehtechnik". Und hier hat es mir schon geholfen, Bilder von anderen von mir bekannten Orten zu betrachten und mir so einfach Techniken für andere Blickwinkel anzueignen, weniger um diese Blickwinkel zu kopieren.
Das Verdichten in einem Bild funktioniert immer gut, wenn ich genau weiß, was ich zeigen will. Das ist immer dann der Fall, wenn es starke Empfindungen gibt. Wenn ich also inmitten einer Natur stehe, die mich mit allen Sinnen berauscht, wenn vor mir jemand zum Portraitieren steht, zu dem ich die passende Beziehung zur Bildidee aufbauen kann. Dann ist es ein Frage der Übung, wie gut das Verdichten hier geschieht. Wenn alles zusammen passt, dann hat man manchmal einen richtigen Lauf und macht die besten 10 Bilder des Jahres innerhalb einer Stunde.
So funktioniert glaube ich auch Streetphotography: Der Fotograf zieht in einer bestimmte Stimmung durch die Straßen und sobald er spontan ein Motiv sieht, mit dem er perfekt seine Empfindung assoziiert, dann macht er auch ein gutes Streetbild. Aber auch hier ist neben der Spontanität die Fähigkeit notwendig, aus dem großen Ganzen der Straßenszene die entscheidenden Details herauszugucken. Und zwar nicht nur, was den Bildausschnitt betrifft, sondern hier auch entscheidend auf der Zeitachse.
Schwierig wird es für mich, wenn ich bei Deinem Beispiel bleibend inmitten von schmierig grauem Wetter in niedersächsischer Einöde stehe und meine Stimmung aber nicht nach Trostlosigkeit sucht. Dann bleibt einem nur, gerade diesen Gegensatz zwischen eigener Befindlichkeit und der Umwelt auszudrücken und wenn man hier nicht gerade ein Fan von Holzhammersymbolik ist (Blümchen im Asphalt, bunter Regenschirm im grauen Wetter), dann ist hier häufig für mich das Ende meiner Möglichkeiten erreicht.
Auch lang, aber bei weitem nicht so kurzweilig. :cool:
Stephan
@ Alberich: Ein sehr guter Beitrag gegen die vermutlich jedem Fotografierenden schon einmal begegnete Kreativblockade. Insbesondere in der dunklen Jahreszeit, wenn einem schon einmal (vermeintlich) die "schönen" Motive auszugehen scheinen, hilft das Posting gewaltig aus der Sinnkrise heraus. Besten Dank dafür!!! :D:top:
Nummer-6
09.01.2013, 12:34
Hallo <alberich>,
ich bin exakt Deiner Meinung und bedanke mich für die sehr gute Darlegung der zugegebenermaßen komplizierten Sachlage!
Etwas hätte ich aber noch anzufügen:
Um die schwierige Transformation der Realität in eine zweidimensionale Darstellung zu überführen, bedarf es ja zusätzlich zum Können des Meisters auch eines Werkzeuges.
Genau um dieses Werkzeug drehen sich ja in den "Technikseiten" des Forums die Diskussionen. Ich behaupte, dort sich einzulesen ist auch hilfreich. Man erwirbt Kenntnisse über dieses Werkzeug, genannt Kamera, und kann diese dann zur Bewältigung des o.a. Problems der Darstellung auch nutzen. Das man ein Werkzeug (Kamera) für die Erstellung eines Bildes benötigt, ist ja unumstritten, obwohl Bleistift und Papier sollten auch funktionieren, eine 60-prozentige Kenntnis der Handhabung des Werkzeuges ist aber schon für den Erfolg notwendig. Den Rest kann man ja sich anlesen oder erfragen (hier im Forum).
Somit ist die Technik eine "notwendige Zusatzfunktion" für den Erfolg der in Deinem Beitrag so trefflich beschriebenen Art optische Abbildungen der Realität und auch des Wunschdenkens zu erstellen.
Nochmals besten Dank für die wirklich gute Beschreibung einer immer gestellten Frage.
Grüße von Günter aus Mittelhesen.
@Alberich, so wahr.:top::top::top:
alberich
09.01.2013, 17:27
Schön, dass es doch den einen oder die andere gibt, der damit was anzufangen weiß.
Dann mach ich mal noch ein bisschen weiter.
Um dem ganzen mal ein wenig Fleisch hinzuzufügen, bin ich vorhin mal raus, in die Einöde, und hab mal versucht ein paar Beispiele aufzunehmen. Um einfach mal zu verdeutlichen wie das aussieht, wenn man mit dem Motiv kämpft.
So, da sind wir also nun.
Was sehen wir? Nix. Na ja so gut wie nix.
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Also gehen wir mal ein bisschen näher ran. Vielleicht gibt es ja da doch irgendwas.
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Hm. Auch nicht viel besser. Ja, 'ne Baumgruppe. Bisschen dunkle Erde von einem frischen Graben-Aushub. Einen Maulfwurf-Campingplatz und viel Gelb-Grün-Braun-Grau. Na ja. Also Farbfotografie hätte man hier sicher nicht erfinden müssen.
Also näher ran.
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Ach guck ma'. Da tennt sich ja sogar ein wenig das gelb vom grün und das grau vom braun, aber so richtig "erzählerisch" ist das irgendwie auch noch nicht. Aber da rechts, dieser frische Graben, vielleicht gibt der ja irgendwas her.
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Jo, na ja. Ein mehr oder weniger gerader Fluchtpunkt, Kontraste, hell-dunkel...ja vielleicht. Aber nicht so. Da muss man dann in schwarz-weiss wechseln, weil Kontraste entscheiden und nicht Farben. Alles reduziert sich auf die Form. Mal sehen.
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Na. Schon besser. Das wirkt schon konzentrierter und abstrahierter. Hier schlägt also schon die Kompression zu. Farben raus. Formen und Kontraste rein. So bekommt das Nichts und die Trostlosigkeit eine stärkere Erzählkraft.
Jetzt kann man das ganze noch mal in Hochkant versuchen, um den Graben zur Dominante zu machen.
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Ja, kann man auch machen. Noch grafischer. Noch reduzierter. Noch einfacher. Noch höher komprimiert. Die Aussage bleibt vorhanden und der Rest fehlt auch nicht wirklich.
Mal sehen was noch so in der Nähe geht. Auf der anderen Seite da war auch so ein Graben und daneben noch ein Baum. Vielleicht ist das ja besser?
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Besser? Nee, nich' wirklich. Vielleicht anders. Aber nee der Graben ist zu krumm um gerade zu sein und das reduzierte geht ein wenig verloren und es kommt aber nicht genug Neues hinzu um wirklich "besser" zu sein.
Und sonst? Vielleicht mal die gesamte mittlere Baumgruppe anpeilen und mal auf die Zeitlosigkeit fokussieren. Das wäre ja so ein Motiv, das gab es auch schon vor hundert oder auch zwiehundert Jahren. Einfach mal die Zeit rausnehmen und es in die "Ewigkeit" stellen.
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Ach. Ja, geht auch. Sieht aus wie eine Postkarte aus dem ersten Weltkrieg. Man kann en bevorstehenden Gasangriff schon fast riechen. Oder doch eher "Landleben 1919"? Na ja auf jeden Fall sieht das nciht mehr nach 2013 aus. Ist es aber. So hat man also eine Zeitlosigkeit eingefangen. Etwas ewiges. Auf jeden Fall entstehen Assoziationen.
Ja, warum nicht. Das ganze nochmal aus einem anderen Blickwinkel probieren.
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Nur ein paar Schritte weiter und ein wenig andere Winkel und schon wirkt es nicht mehr so karg. Ein wenig weicher. Zärtlicher. Versöhnlicher. Ackerfurche mit Baum. Ja. meinetwegen.
Aber das versöhnliche, das Zärtliche das könnte man nochmal versuchen herauszuarbeiten. Denn das ist etwas überraschendes, da man es in diesem Setting kaum erwarten würde.
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Ahh. Ja. Jetzt ist es eher eine Traumlandschaft. Weg ist die Härte, die Leblosigkeit. Jetzt kommt so etwas wie Hoffnung ins Spiel. Die beiden schrägen Eichen, das Vogelnest im Wipfel, das nebulöse Hinterland, wirkt auch gleich nicht mehr so kalt und unwirtlich. Ein bisschen an der Farbtemparatur gebastelt, den Kontrast raus....Ja, das kann man machen.
Wenn man jetzt also den Ausgangspunkt dieses Weges sieht. Eine langweilige und langatmige Weide mit nix aus einem aktiven Maulwurf, ein paar Bäumen, miesem Wetter und sonst nix, dann ist am Ende durchaus was zusammen gekommen. Das ist nun nicht weltveränderndes Material, aber für die vermutete, desaströse Ausgangslage ist doch erstaunlich was hängen geblieben. Und das alles in einer halben Stunde, einfach mal so rough'n'ready, "nebenbei" für das Forum. Hätte schlimmer kommen können.
So, das mal nur als kleine Motivation, das es sich eigentlich immer lohnt da raus zu gehen und sich mit dem was einen umgibt auseinander zu setzen. Es gibt immer was zu sehen, selbst im vermeintlichen Nix.
:)
Mach weiter...ich schick dich auch gerne an verschiedene Orte... ;)
Das wird wie ein tolles Buch über "Der Weg aus dem Nichts"- oder "Die Motivklingel entrosten". :D
Hansevogel
09.01.2013, 18:05
Es gibt immer was zu sehen, selbst im vermeintlichen Nix.
:)
Das merke ich mir! :D
Danke für die mutmachende Anregung. :top:
Gruß: Joachim
der_knipser
09.01.2013, 18:12
Jaaaaaaaaaaaaaa!!!
Damit kann ich was anfangen! :top:
Ellersiek
09.01.2013, 18:28
...So, da sind wir also nun...
...Auf der anderen Seite da war auch so ein Graben und daneben noch ein Baum. Vielleicht ist das ja besser?
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Besser? Nee, nich' wirklich. Vielleicht anders. Aber nee der Graben ist zu krumm um gerade zu sein und das reduzierte geht ein wenig verloren und es kommt aber nicht genug Neues hinzu um wirklich "besser" zu sein...
Und schon sind wir an dem Punkt "ich sehe was, das Du nicht siehst."
Baum mit eigener Wasserstraße. Evt. noch näher ran, keine Steine ins Wasser schmeißen (ohne Wellen - oder war es sehr windig?) und vielleicht spiegelt sich der Baum noch in der Wasseroberfläche. In der Nachbearbeitung hätte ich versucht, den Anfang der Wasserstraße noch näher an den Stamm zu bringen.
...Wenn man jetzt also den Ausgangspunkt dieses Weges sieht... ist doch erstaunlich was hängen geblieben....
Vielen Dank dafür.
... "Die Motivklingel entrosten"....
Spruch des Tages:top:
Gruß
Ralf
holger-hb
09.01.2013, 18:36
Moin,
das ist ein super ausführlicher Bericht, auch mit anschaulichen Beispielen.
Das steht alles in tausenden Büchern, aber bei manchen Menschen kannst du noch so lange sagen, sei kreativ, das wird nichts.
Im Grunde geht es eben nicht nur um Belichtungszeit, Blende, sondern auch um Perspektive und Bildzusammenstellung.
Ich behaupte, ein guter Fotograf macht gute Bilder mit einer ganz normalen Digicam. Ein nicht kreativer Technikfreak mit 1a Ausstattung, dagegen nur Müll.
Das wie mit dem Sternekoch, der zum Fotagrafen sagt: Sie mit Ihrer Kamera machen bestimmt gute Bilder. Worauf der Fotograf sagt, er würde ja bestimmt auch nur so gut Kochen wegen der edlen Töpfe. (oder so ähnlich)
:top::top::top:
Einfach nur gut, vor allem auch Deine "Bildergeschichte"
Eine gute Anregung! Hab auch eine kleine Blockade durch ganz wenig Zeit zum gezielten Fotografieren, aber nun, wo ich das kleine Gepäck habe, werde ich sicher wieder mehr fotografieren, weil ich, wenn ich sowieso unterwegs bin, jetzt ja das Maschinchen einfach mitnehmen kann.:top:
Ellersiek
09.01.2013, 19:45
...Das wie mit dem Sternekoch, der zum Fotagrafen sagt: Sie mit Ihrer Kamera machen bestimmt gute Bilder. Worauf der Fotograf sagt, er würde ja bestimmt auch nur so gut Kochen wegen der edlen Töpfe. (oder so ähnlich)
Das soll Helmut Newton gewesen sein:
Der Koch: "Ihre Fotos gefallen mir, Sie haben bestimmt eine gute Kamera."
Newton nach dem Essen: "Das Essen war vorzüglich - Sie haben bestimmt gute Töpfe."
Gruß
Ralf
Nett - aber können wir jetzt BITTE wieder zum Bildrauschen zurückkommen! :twisted:
... :lol:
Danke für den Thread, für deine Arbeit!
Mehr davon!
Es können ja ev. noch andere - falls dir das Recht ist - den Weg zu einem ihrer Bilder beschreiben. daraus kann man einiges lernen, merke ich.
MacSource
09.01.2013, 21:59
@ alberich:
das hast Du sehr schön beschrieben... und noch besser (bildlich) dargestellt :top:
Foto vs. Bild...
Gruß,
Christian
@ alberich
vielen,vielen Dank. Du hast es auf den Punkt gebracht.
Sehr erhellend fand ich die kommentierte Photogalerie.
:top::top: :D:D
Hallo Alberich,
ich danke Dir dafür, dass Du meinen einen Tag Urlaub morgen gerettet hast ;)
Ich habe mir einen Tag für eine Wurzelbehandlung gegönnt und da ich - auch mit 46 - immer noch (Achtung! Euphemismus) Respekt vor dem Zahnarzt habe, habe ich dem morgigen Tag nicht gerade freudig entgegen geblickt. Aber jetzt plane ich nach dem nun einmal nicht zu vermeidenden Vormittag, den Tag Urlaub, an dem die Kinder auch noch in der Schule sind, mit einen Fotospaziergang ganz für mich allein und daher mit Zeit noch zum Guten zu wenden ...
Viele Grüße,
Markus
PS: Argl ... ganz schön verschwurbelter Satzbau, aber ich mag jetzt nicht über eine griffigere Formulierung nachdenken ;)
Ich weiß schon warum ich als nicht mehr Sonykamerabesitzer diesem Forum noch so verbunden bin. Wegen solchen Beiträgen wie die von alberich.
Danke!
alberich
10.01.2013, 00:04
Ach, das freut mich echt, dass hier was los ist.
Dann mach ich mal weiter.
Klick! Bam! Hä? Was'n das?
Der Klassiker. Man sieht etwas und entscheidet sich dazu es zu fotografieren. Alles stimmt. Belichtungszeit, ISO, Blende und bla. Man hat ein richtig gutes Gefühl. Das muss geil werden. ..... Muss es nicht.
Aber verdammt noch einmal warum?
Ganz einfach. Der Sensor macht einfach nix ausser einer technischen Abbildung, bestenfalls. Ende.
Er nimmt auf was da ist und nicht was man sieht. Dann guckt man also nachher auf das Bild und schüttelt ungläubig den Kopf. Das hab' ich aufgenommen? Niemals? Wieso auch? Das ist einfach nur langweilig. Da ist nix von dem zu sehen, was ich gesehen habe.
Die Kamera muss kaputt sein. Oder das Objektiv ist schlecht. Histogramm?
Ne, alles OK.
Kamera: check
G-Linse: check
Histogramm: Check
Daran liegt es nicht.
Es liegt an dem weiten Weg vom Foto zum Bild. Das Foto ist also bestmöglich im Kasten und nun beginnt der steinige Weg zum Bild.
Das, was man selbst in Echtzeit während des fotografierens an "Bildbearbeitung" intern verarbeitet hat, ist dummerweise nicht auf dem Foto. Wie bekommt man das jetzt da also (wieder) rein. Man weiß, dass es da war. Man hat es schliesslich schon gesehen. Früher bedeute das Dunkelkammer, verschiedenste Papiere, Belichtungszeiten, Entwicklerbrühe usw. Heute ist es Photoshop oder vergleichbares. Wobei die Dunkelkammer als kreatives Moment nichts an ihrem Reiz verloren hat. Das nur nebenbei.
Durch diese hohle Gasse muss er kommen.
Nun kommt der schwierige Teil. War man in der Lage sein inneres Bild zu speichern? Hat man noch Zugriff auf seine Empfindung zur Zeit als man das Bild gemacht hat? Hat man überhaupt eine Zugriff auf das was in einem passiert? Das ist nicht nur wichtig beim finden des Motivs, sondern ebenso elementar bei der kommenden Aufgabe. Voraussetzung ist, dass man sein Instrument (Photoshop) blind bedienen kann. Denn sonst kann man nicht flüssig dem Tempo und Rhythmus der eigenen Empfindung folgen, sondern wird permanent durch das Bedienen der Software aus dem Flow gebracht.
Also ganz wichtig ist ein Arbeitsplatz und ein Workflow, der einen nicht behindert. Die Eingabegeräte, der Monitor, der Rechner, alles muss darauf abzielen das man sich über eben all diese Dinge keinen einzigen Gedanken machen muss, während man in sich selbst nach dem sucht, was man in dem Bild gesehen hat. Das beste Werkzeug ist das, welches man nicht wahrnimmt.
"Der Himmel war irgendwie nicht so hell" - Softer Brush - Mitten - 6% - Done.
"Hier vorne links säuft das irgendwie ab und bringt alles aus dem Gleichgewicht" - Softer Brush - Schatten - 8% - Done
Wenn man jetzt erst den Regler suchen müsste, oder der Rechner rödelt und irgendwie verzögert reagiert, dann klemmt man schon wieder und der Rhythmus ist dahin. Schon muss man neu ansetzen und der Fluss ist einfach gestört.
Man muss alles dafür tun einen steten Fluß aus sich selbst heraus in das Foto zu ermöglichen um es zum Bild werden zu lassen.
Also immer gucken, dass man die bestmöglichen Bedinungen schafft. Es läuft auch kein Sprinter mit zu großen Schuhen oder welchen, die während des Sprints aufgehen. Er schafft auch optimale Bedingungen um am Ende seine eigenen Leistung auch bringen zu können, die in ihm steckt.
Wenn ich jetzt an einem klebrigen Notebook sitze und auf dem Touchpad rumfummeln muss und ständig Paletten im Weg sind, und ich mehr mit Fenster schieben beschäftigt bin als mit dem Bild selbst, dann kann man sich in etwa vorstellen, dass das Ergebnis bei weitem nicht so unmittelbar werden wird, wie mit einem gut eingerichteten Arbeitsplatz und verinnerlichtem Workflow. Alle Befehle kennen, alle Tastaturkommandos, alle wichtigen Filter. Alles andere verschwinden lassen. In Photoshop alle Menüeinträge ausblenden die man nicht braucht. Konzentration auf das Entscheidende. Bei der Arbeitsumgebung ebenso wie beim Bild selbst. Fokus!
Auch sollte man sich immer mal wieder, abseits der konkreten Arbeit an einem Bild, Improvisationsphasen gönnen. Einfach klimpern. Ein Foto kennenlernen. Sein Potential ausloten.
Bilder machen ist wie Musik, wie komponieren. Man hat erstmal nur eine einfache Meldoie/Motiv im Kopf. Man setzt es in verschiedene Stimmen, arrangiert verschiedene Instrumente und lotet das Potential aus. Es schält sich langsam heraus, was geht und was nicht. Am Ende steht auch oft, dass da nix ist. Das gehört auch dazu. Mehr als vieles andere.
Also. Loslassen! Wenn es nix ist, dann ist es nix. Und wird auch nix.
"Doch! NikEfx drüber orgeln. "
"Und dann?"
Dann hat man halt nix mit Effekt. Nix bleibt Nix, ob mit oder ohne Effekt.
Klar ist, das es auch manchmal sehr schwer ist loszulassen. Man hat ein Bild und möchte so unbedingt, dass es was ist, weil da war doch was. Aber manchmal muss man einfach loslassen. Keine Sorge. Es sind noch genug Bilder da draussen und auch in einem selbst. Vielleicht schon Morgen.
:)
der_knipser
10.01.2013, 00:38
Boah, ich spüre förmlich, wie mein inneres Barometer wieder steigt! :top:
Also, sorry, aber das hat für mich einen sehr esoterischen Touch.
Ich halte es da eher mit dem alten Engels:
"Alles, was die Menschen in Bewegung setzt, muß durch ihren Kopf hindurch; aber welche Gestalt es in diesem Kopf annimmt, hängt sehr von den Umständen ab."
Analoges gilt m.E. auch für die Bildbetrachtung und für die Szene, die wir fotografieren. Klar, wir sehen das selbe Bild und die selben Gegenstände (im Falle einer nicht-abstrakten Fotografie), aber unsere Interpretation (das "Bild" im Kopf und was wir damit verbinden) ist jeweils eine andere.
Grüße
Steffen
Nix bleibt nix, ob mit oder ohne Effekt. Yeeeeeehaaaaw!
Meine Rede seit 5338964 Jahren!!! (Grob geschätzt...)
Auch ansonsten volle Zustimmung.
Ich komme ja vom Malen und Zeichnen und merke oft, wie das dann bei der Bildformung (direkt vor dem Foto) und bei der Optimierung/Bearbeitung (später nach dem Foto) Raum in mir einnimmt und "mit redet". Ich arbeite mit einem Programm, bei dem ich jeden Knopf kenne...
Was ich schon festgestellt habe: die Musik, die ich höre, beeinflusst meist mit... Es wird dann härter oder weicher. Schon interessant...
Weiter bitte. ;)
Dyas1251
10.01.2013, 21:04
Angeregt durch den Thread "bessere Technik - Bildqualität und so..." möchte ich hier mal ein paar Anregungen zur evtl. Inspiration für den/die Strauchelnde(n) anbringen.
Hallo alberich,
nach 4 der selbst auferlegten Wochen "nur lesen" hast Du mich aus der Reserve gelockt ... einfach toll.
D A N K E
Gruß
Dyas1251
:top:
Einfach nur gut.
:top:
Das betrifft nicht nur die Bildbearbeitung.
Gutes Werkzeug braucht man für jede Arbeit, alles andere behindert einen nur.
alberich
12.01.2013, 15:09
Nur mal kurz.
Das ist natürlich ein "offenes" Thema. Ich würde es prima finden, wenn hier auch andere Erfahrungs- und Erlebnisberichte gepostet würden.
Wie man sich einem Motiv genähert hat, wie man ein Bild aus dem Foto "geschält" hat, wie man "sein" Motiv gefunden hat... etc.
Ich denke für viele ist das immer wieder interessant zu sehen, denn auch wenn es letztlich immer der gleiche Vorgang ist, so ist er dennoch immer wieder anders und kann anregen und inspirieren.
Apropos Bild im Foto finden.....
6/baum-original-small.jpg
-> Bild in der Galerie (http://www.sonyuserforum.de/galerie/details.php?image_id=162309)
:)
alpine-helmut
12.01.2013, 22:58
Da mir dieser thread ausnehmend gut gefällt und der TO offensiv dazu aufgefordert hat, möchte auch ich ein paar Gedanken beisteuern:
Vor ein paar Jahren kam ich auf einem Betriebsausflug nach Regensburg. Den dortigen Dom wollte ich gerne fotografieren. Reingegangen und zwei Enttäuschungen erlebt:
1. Da drin ist es nur dunkel - kann man keine schönen Bilder vom lichtdurchfluteten Kirchenraum machen. Gotik setzt halt auf eine andere Lichtstimmung als der südbayerische Barock oder gar Rokoko!
2. Der linke Teil des Chorraums war wegen des Einbaus einer neuen Orgel mit einem riesigen Gerüst belegt, das zum übrigen Kirchenraum hin mit einem Netz behängt war.
Was tun?
Hinsetzen und heulen, mein grausames persönliches Schicksal beweinen, gar aus der Kirche austreten?
Nach kurzer Bedenkzeit der erste konstruktive Gedanke:
einen "normalen" Kirchenraum kannst Du fast immer fotografieren -- die vorliegende Situation ist aber auf die Zeit der Bauarbeiten begrenzt, die übrigens kurz vor der Vollendung zu sein schienen.
Und dann der Entschluss:
Mach was aus genau dieser Situation -- die Gelegenheit für so ein interessantes Motiv ergibt sich erst wieder, wenn die Orgel in 50 oder70 Jahren renoviert werden muss (da werd ich aber wahrscheinlich keine Fotos mehr davon machen können!)!
Und was soll ich sagen? Die Beleuchtung der Baustelle war genau richtig, die Effekte der hinter dem das Netz herausleuchtenden Orgelpfeifen sowie die Gegenüberstelluing von kaltem geradlinig-rechtwinkligem Gerüst und elegant gotisch behauenem lebendigem Stein haben zu einer meiner schönsten Bilderserien geführt. Darüber hinaus war es auch noch Inspiration, in der nächsten Zeit genau solche Motive zu suchen und zu einer Bilderserie "Baustelle Kirche" zusammen zu stellen (was natürlich auch im übertragenen Sinne zu verstehen ist und durchaus als Symbol für die damalige Situation gesehen werden kann und sollte).
846/DSC05664_01_Dom_St_Peter_-_Orgel-Baustelle_Rieger_Orgelbau_Schwarzach_2009.jpg
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846/DSC05680_01_Dom_St_Peter_-_Orgel-Baustelle_Rieger_Orgelbau_Schwarzach_2009.jpg
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846/DSC05698_01_Dom_St_Peter_-_Orgel-Baustelle_Rieger_Orgelbau_Schwarzach_2009.jpg
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Also: nicht gleich die Flinte ins Korn werfen, sondern einfach versuchen, das beste aus einer Situation zu machen. Irgendwo hier im Forum habe ich einen Signaturspruch gesehen, der so ähnlich hieß wie "Knipser fotografieren, was sie sehen -- ein Fotograf sieht, was fotografiert werden will" ... er muss nur danach suchen!
Ok, dann mag ich auch mal etwas schreiben. =)
Bei mir ist es oft/meistens so, dass ich Bilder einfach nur noch etwas optimiere. Nämlich dann, wenn ich ein Bild durch den Sucher schon komplett "erkannt" habe. Das soll jetzt aber nicht Thema sein, sondern eher das "Bild im Geiste", das die Natur so nicht gezeigt hat.
Ich mag den Satz: "Ein Bild ist ein gutes Bild, wenn man nichts mehr weglassen kann". Diese Reduktion ist es, die mir oft gut gefällt und wo ich dann manchmal auch mit EBV dran gehe, die etwas stärker ist.
Wir waren in Berlin vor einer Woche und sind bei Eiseskälte am Paul Löbe Haus gewesen. Dort standen drei Bäume herum. In meinen Geist schoss sofort die Idee, diese in der "Reihe" aufzunehmen und etwas zu "abstrahieren". Hinter den Bäumen war eine weiße Wand...mit so komischen Punkten.
Original:
6/DSC00076orig.JPG
-> Bild in der Galerie (http://www.sonyuserforum.de/galerie/details.php?image_id=162389)
Mein geistiges Auge sah aber etwas ganz anderes. Diese drei Bäume, die einfach so da stehen und eine kleine Perspektive bilden. Die wollte ich, sonst nicht wirklich was. Somit haute ich die Wand einfach wech, indem ich die Helligkeiten verstärkte und die Punkte + Striche wegstempelte.
6/DSC00076SF.JPG
-> Bild in der Galerie (http://www.sonyuserforum.de/galerie/details.php?image_id=162390)
So habe ich das innerlich sofort gesehen und versuchte nun, mit der EBV da hin zu kommen, wo ich hin wollte.
Das Ganze noch in sw, obwohl mir die Farbvariante momentan mehr zusagt:
6/DSC00076SFsw.JPG
-> Bild in der Galerie (http://www.sonyuserforum.de/galerie/details.php?image_id=162391)
Nicht auf die Abrisse gucken, ich hab das sw jetzt schnell zur Demonstration aus dem kleinen jpeg entwickelt.
Insgesamt bedeutet das, dass in mir zwei Seelen in der Brust wohnen. Die eine Seele will naturgetreu sein und versucht, exakt abzulichten und genau zu sein und löscht total vieles wieder von der Karte. Die andere Seele ist eher "artifiziell", grafisch... und die bringt mich dann dazu, immer mal wieder Dinge etwas zu ändern, um den Effekt zu kriegen, den ich vorher schon innerlich gesehen habe.
Und das macht schon ziemlich viel Spaß. =)
Roland Hank
13.01.2013, 01:15
Wow, was für ein toller Thread, vielen Dank dafür.
Endlich wieder einmal etwas lesenswertes, das entspricht exakt meiner Philosophie über Fotografie.
Gruß Roland
deranonyme
13.01.2013, 13:37
Das Ganze noch in sw, obwohl mir die Farbvariante momentan mehr zusagt....
Und das macht schon ziemlich viel Spaß. =)
Find ich toll, jetzt noch den Übergang zur verschwundenen Wand etwas weicher, etwa so wie rechts im Bild, wo wohl ne Treppe oder so war, dann passt es für mich egal ob Farbe oder SW. Dieses Thema baut sich sehr schön aus und ermuntert mich auch mal so zu sehen. Ich selbst bin halt arg "realitätsnah", finde solche erzeugten Stimmungen aber interessant und sehenswert, zumal wenn man Grundlage und Ergebnis vergleichen darf..
Danke für die Denkanstöße.
Frank
alberich
13.01.2013, 15:45
Insgesamt bedeutet das, dass in mir zwei Seelen in der Brust wohnen. Die eine Seele will naturgetreu sein [...] Die andere Seele ist eher "artifiziell", grafisch...
Ich denke, das sind lediglich zwei Seiten der gleichen Medaille/Seele.
Beide Seiten sind gleichberechtigt. Mal hat die eine das Sagen und mal die andere. Mal ist die Fotografie vorrangig Spiegel der Umgebung und mal der Seele.
Mir geht es da genau so. Es gibt Projekte, da steht die so realitisch wie mögliche Abbildung einer Wirklichkeit im Zentrum und mal ist es die eigene, sehr subjektive Interpretation und Transformation des Wahrgenommenen.
Schwierig wird es nur dann, wenn die beiden Intentionen stark überlappen und sich gegenseitig im Weg stehen. Man kann ein Bild ja auch im Nachhinein kaputt interpretieren oder ebenso durch mangelnde "Fürsorge" weit unter seinen Möglichkeiten belassen. Darum kann es nicht schaden, wenn man schon vorher weiß, warum man das Foto machen möchte.
Um schon von vorne herein mehr über das kommende Bild zu wissen und einen stärkeren Bezug zum Motiv zu bekommen ist es wichtig, so intensiv Kontakt mit der Umgebung aufzunehmen wie möglich. Bin ich in der Natur, dann rieche ich an Blättern, an der Erde, fühle was um mich herum ist um es mit all den Sinnen aufzunehmen. Das gibt mir eine Möglichkeit mich stärker verbunden zu fühlen. Es ist für mich persönlich wichtig den Beobachterstatus aufzugeben und vorübergehend Teil des Ganzen zu sein.
Man sich erst einmal synchronisieren. Erst dann kann man im Tempo der Umgebung fotografieren.
Man beschäftigt sich mit dem, was man fotografiert. Das fotografieren passiert nur "nebenbei". Beri Portraits beschäftige ich mit der Person vor der Kamera. Das Fotografieren wird vollkommen zur Nebensache. nur so kann man das Individuelle, Persönliche einfangen. Solange der "Delinquent" das Gefühl hat er würde fotografiert, er befindet sich in einer Prüfungssituation kommt nix bei raus, außer ein Foto von jemandem in einer Prüfungssituation.
Intensive Beschäftigung und Auseinandersetzung mit dem Motiv macht das Bild.
:)