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Startseite » Forenübersicht » Kreativbereich » Fotostories und -reportagen » Westlich von Köln
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Alt 09.02.2016, 01:17   #1
Mainecoon
 
 
Registriert seit: 20.10.2013
Beiträge: 2.097
Westlich von Köln

„Gehen Sie da weg! Sie begehen Hausfriedensbruch! Das ist lebensgefährlich, was Sie da tun!“

Natürlich drehen wir sofort ab. Wir hatten vorher darüber gesprochen, dass eventuell Wachleute auftauchen könnten. Oder die Polizei. Und dass wir uns gesittet benehmen würden. Doch direkt die erste Aktion erregt bereits Aufsehen.

Ich war mit Dana und Vera aus K verabredet, um uns ein wenig in der Niederrheinischen Bucht umzusehen, genauer: dem Dreieck zwischen Köln, Aachen und Mönchengladbach. Architektur und Natur sollten die Motive sein, hatte Dana sich gewünscht.


typische Landschaft westlich von Köln

Von sehr weit oben gesehen stelle ich mir diese Landschaft wie ein Gesicht mit vielen Sommersprossendörfern vor, in denen man nicht nur den unmittelbaren Nachbarn kennt. Autobahnen furchen dieses Gesicht, um das Fernweh zu lindern oder ganz profan zur Arbeit zu kommen. Die Dorfstraßen dagegen sind die kleinen Lachfältchen, an denen sich die beiden Eckpfeiler rheinischen Daseins direkt gegenüberliegen, Kirchturm und Gasthof. So lange schon, dass die Gasthoftür zentimeterdick von den Efeustämmen umrahmt wird.


Kirche im Dorf

Efeuranken um Gasthoftuer

Und dann gibt es in diesem Gesicht noch die Wunden.

[Fortsetzung folgt, verspricht Mainecoon]
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Zur Demokratie gibt es keine Alternative.
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Alt 09.02.2016, 07:01   #2
Dana
 
 
Registriert seit: 21.08.2008
Ort: Hessen
Beiträge: 33.827
Schöner und sehr poetischer Beginn unseres netten kleinen Ausfluges!

Da bin ich ja froh, gestern nicht mit dem Bericht angefangen zu haben! Wenn du das diesmal übernimmst, kann ich mir die Arbeit ja sparen.
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Liebe Grüße!
Blowing out someone else's candle doesn't make yours shine any brighter.
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Alt 09.02.2016, 07:11   #3
ingoKober
 
 
Registriert seit: 14.06.2005
Ort: 64521 Groß-Gerau
Beiträge: 10.494
Zitat:
Zitat von Mainecoon Beitrag anzeigen
So lange schon, dass die Gasthoftür zentimeterdick von den Efeustämmen umrahmt wird.

Hier muss ich als Forumsbiologe kurz eingreifen: Kein Efeu, wahrscheinlich Glyzinie - und die wächst sehr viel rascher als Efeu.

Aber fängt ja vielversprechend an. jetzt verrate nur noch, was ihr so gefährliches Unmut erregendes getan habt?


Viele grüße

Ingo
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Viele Grüße

Ingo
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Kober? Ach der mit den Viechern!
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Alt 09.02.2016, 08:00   #4
Kurt Weinmeister
 
 
Registriert seit: 06.03.2015
Ort: Berlin
Beiträge: 4.442
Zitat:
Zitat von ingoKober Beitrag anzeigen
... jetzt verrate nur noch, was ihr so gefährliches Unmut erregendes getan habt?
Garzweiler ...
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Chefexeget an der Rudolf-Steiner Schule
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Alt 09.02.2016, 08:15   #5
juergendiener
 
 
Registriert seit: 08.12.2005
Beiträge: 454
Klasse!

Nicht nur spannende Fotos, die Lust auf mehr machen, sondern auch noch ein stimmungsvoller Bericht.

Danke schön dafür
juergendiener ist offline   Mit Zitat antworten
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Alt 09.02.2016, 12:53   #6
Dana
 
 
Registriert seit: 21.08.2008
Ort: Hessen
Beiträge: 33.827
Zitat:
Zitat von ingoKober Beitrag anzeigen
Aber fängt ja vielversprechend an. jetzt verrate nur noch, was ihr so gefährliches Unmut erregendes getan habt?
Wir hatten das gar nicht vor, Unmut zu erregen.
Wir sind den Schildern "Aussicht" gefolgt...und irgendwann stand keins mehr, aber Autos standen da und Menschen krabbelten rum. Also dachten wir, dass wir richtig seien und stiefelten los. Ok, wir mussten über einen Graben hüpfen und über einen kleinen Hügel klettern, aber wir sind irlanderprobt und dachten uns nichts weiter bei...

Nunja, irgendwann brüllte halt ein Sicherheitsmensch. Er fuhr auch gleich weiter und wartete gar nicht, bis wir an der Straße waren, sonst hätten wir ihm das mal erklärt.

Die Fotos von dort sind natürlich einmalig und wir sahen später, dass die Warnschilder (betreten verboten) umgemäht und auf den Boden gemalmt waren...das KONNTEN wir nicht sehen. Wir sind also nicht irgendwo hin, wo es verboten war und haben uns ins Fäustchen gelacht. Das hätte ich dem auch ins Gesicht gesagt, aber er ergriff halt vorher die Flucht.
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Alt 09.02.2016, 12:59   #7
Mainecoon

Themenersteller
 
 
Registriert seit: 20.10.2013
Beiträge: 2.097
[Danke für die Vorschusslorbeeren und die Korrektur!]

Die ersten Wunden entstanden schon in den 1870er Jahren, als die Industrielle Revolution ihren Aufschwung nahm. Mittlerweile werden im Rheinischen Braunkohlerevier rund 40 Millionen Tonnen Braunkohle jährlich im Tagebau gefördert: im Nordrevier, das als Garzweiler I bekannt wurde; dem Mittleren Revier bei Frechen, wo ab der 1950er Jahre die ersten Dörfer verschwanden; im Westrevier Inden I und II und schließlich, zwischen den anderen Revieren, um Hambach herum, dessen Forst Schauplatz mittlerweile blutiger Auseinandersetzungen zwischen Aktivisten und RWE-Mitarbeitern ist.

Die Nerven liegen auf beiden Seiten blank. Daher auch der wütende Zuruf, gerade als ich zu Dana und Vera aufschließen wollte, um einen dieser gigantischen Schaufelradbagger bei Garzweiler I aus der „Nähe“ zu fotografieren. Dabei hatten wir vergeblich extra geschaut, ob es Verbotsschilder gab. Die lagen weiter entfernt in den Boden gestampft, nicht sichtbar dort, wo wir von der Straße abgewichen waren. Bevor ich den Rufer erreichen und mit ihm reden konnte, war er weggefahren.

„220 Meter lang, 96 Meter hoch und 13.500 Tonnen schwer ist ein Schaufelradbagger im Tagebau Hambach. Die Grube: 370 Meter tief, 43 Quadratkilometer groß. Acht Schaufelradbagger sind hier im Dienst, rund um die Uhr. 110 Kilometer beträgt die Gesamtlänge der Förderbänder, die hier die Kohle transportieren, 40 Millionen Tonnen im Jahr, wie es beim Energieunternehmen RWE heißt.“(1)


Schaufelbagger Garzweiler I

Größenverhältnisse

Förderbänder Garzweiler I
 

Und das ist nur Hambach. In Garzweiler I scheint die Verwüstung der Landschaft erst am Horizont zu enden – oder mit dem Braunkohlekraftwerk in Niederaußem.


Blick vom Skywalk

Garzweiler I

Braunkohlekraftwerk

Blick vom Skywalk

Der Blick über das Abbaugebiet löst sehr widersprüchliche Gefühle in mir aus. Dem Naturfreund blutet das Herz, doch auch in der Zerstörung offenbart sich eine gewisse Schönheit. Da ist das Farbspiel der verschiedenen Schichten im wechselnden Licht:


"Grand Canyon"

Garzweiler I

Blick vom Skywalk
 

Die Harmonie der Gleichmäßigkeit, mit der sich die Schaufelräder tiefer und tiefer durch die Flöze gearbeitet haben:


Abbauspuren

Baggerspuren
 

die weißen Dampfschwaden des Braunkohlekraftwerks Niederaußem, die mit den Wolken am Himmel konkurrieren und gewinnen.


Kohlekraftwerk

Einmal, als die Sonne schon recht tief steht, sieht es aus, als läge die fein abgestufte Schwarz-Braun-Beige-Elfenbein-Farbpalette eines Malers vor uns.


"Farbpalette"

Später am Tag, bei einem der Aussichtspunkte am Hambacher Revier, findet dieser Zwiespalt sein passendes Motiv. Ein Holzsteg führt zu Metallschirmen und
-liegestühlen, die dazu einladen, den Sonnenuntergang über dem Abbaugebiet zu betrachten – als sei man am Timmendorfer Strand.


Hambach Aussichtspunkt

Hambach Aussichtpunkt
 

40 Dörfer mussten von 1953 bis 2014 dem Tagebau weichen, zehn weitere sollen noch folgen (2). Ob es so kommen wird, ist aber unsicher geworden, seit zum einen die Bundesregierung den Ausstieg u.a. aus der Kohleförderung bis 2050 ins Auge gefasst hat (3) und zum anderen die fast aufgelassenen Dörfer plötzlich als interessante Möglichkeit zur Unterbringung von Flüchtlingen angesehen werden (4).

Wir wollten nach Immerath, urkundlich erstmals 1144 erwähnt, 1970 von 1537 Menschen bewohnt, 2013 noch von 40. Seit 2006 wird dort umgesiedelt, 2013 begannen die Abrissarbeiten, 2017 soll auch dort Braunkohle abgebaut werden (5). Etwa einen Kilometer vor dem Ortsrand steht ein Schild an der Straße, das die Situation des Ortes erklärt, auf einem Plakat an der Garage eines der ersten Häuser heißt es „Verraten. Verkauft. Vergessen“.

Bewusst vermeiden wir die wenigen Straßen, in denen offensichtlich noch jemand wohnt. Kommt uns jemand entgegen, trägt er meist wie wir eine Kamera in der Hand. Auch Urbexer sind unterwegs, die tatsächlich in den Garten eines Hauses einsteigen. Wenn keine Kamera zu sehen ist, so gestehen wir uns später im Auto, kommt sofort die Anspannung hoch, ob es ein wütender Einwohner ist, der es satt hat, dass seine Heimat als Touristenattraktion dient.


Immerath Ausflugswegweiser

Alle Fensterläden in der Straße sind geschlossen, die Ausbesserungen auf der Straße werden wohl nie beendet werden. Selbst Häuser, die höchstens zehn Jahre alt sind, stehen leer. Auf dem Spielplatz gegenüber dem Kindergarten ist es still.


Immerath Straße

Immerath Kopfweiden

verschlossene Briefkästen

vermauerte Fenster

Spielplatz

Der „Dom von Immerath“, eine neuromanische Basilika mit zwei Türmen, wurde 2013 säkularisiert. Aus einem der Fenster sind Steine heraus gefallen, auf den Stufen zur Kirche wächst großflächig Moos.


"Dom" zu Immerath

Manche der roten Ziegelhäuser erinnern mich an meinen Heimatort am Rande des Ruhrgebiets, der ganze Stolz ihrer Besitzer. Waren auch in Immenrath Menschen, die sich buchstäblich ihr Eigentum unterm Hintern wegbaggern werden müssen?


Efeufenster

Bungalow
 

An der Tür des verlassenen Friseurladens wirbt ein Aufkleber: „Wenn’s um Haut und Haar geht – frag den Friseur“. Doch auch er wusste hier keine Antwort.


Friseurladenaufkleber

Die Raiffeisenbank hat 2012 geschlossen. Kopf und Kragen wollte man dann doch nicht riskieren für die Bequemlichkeit der verbliebenen Einwohner. Zurück blieb ein Dorf ohne Zukunft.


Raiffeisenbank


Immerath Fenster

Anmerkungen:
RWE hat einen Flyer veröffentlicht mit den Wegbeschreibungen zu allen Plätzen, von denen aus man eine Blick über die Abbaugebiete werfen kann: „Wegweiser zu den Aussichtspunkten“ http://www.rwe.com/web/cms/mediablob.../Wegweiser.pdf

(1) Zitierter Abschnitt aus: „Dieses kleine Stück Wald – Der Kampf um den Hambacher Forst“, Artikel von Martin Kaul, taz; gelesen am 8.2.2016 unter http://taz.de/Der-Kampf-um-den-Hamba...orst/!5272012/

(2) Nachgezählt auf der Karte des Braunkohlereviers im Wikipedia-Eintrag „Rheinisches Braunkohlerevier“, gelesen am 3.2.2016 unter https://de.wikipedia.org/wiki/Rheini...aunkohlerevier

(3) u.a. Rede von Bundesumweltministerin Dr. Barbara Hendricks vor dem Deutschen Bundestag am 12.11.2015 unter http://www.bmub.bund.de/presse/reden...hen-bundestag/

(4) „Neues Deutschland – Wo Flüchtlinge wohnen“, Artikel von Niklas Maak, FAZ.net, gelesen am 3.2.2016 unter http://www.faz.net/aktuell/feuilleto...-14043394.html

(5) Wikipediaeintrag zu Immerath (Erkelenz), gelesen am 3.2.2016 unter https://de.wikipedia.org/wiki/Immerath_(Erkelenz)

Es grüßt und dankt für die Aufmerksamkeit

Mainecoon
__________________
Zur Demokratie gibt es keine Alternative.

Geändert von Mainecoon (09.02.2016 um 13:01 Uhr)
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Alt 09.02.2016, 14:02   #8
Dana
 
 
Registriert seit: 21.08.2008
Ort: Hessen
Beiträge: 33.827
WOW...

Da kommt der Historiker voll durch.
Viele Infos, ein sehr wertvoller Beitrag! Schöne Bilder, tolle Gedanken...das lese ich mir sicher nochmals durch.

Sollen wir unsere Bilder hier mit drunter packen oder lieber einen eigenen Thread bauen, damit das hier so stehen bleiben kann?
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Liebe Grüße!
Blowing out someone else's candle doesn't make yours shine any brighter.
Dana ist gerade online   Mit Zitat antworten
Alt 09.02.2016, 14:06   #9
Tafelspitz
 
 
Registriert seit: 26.11.2004
Ort: Region Basel (CH)
Beiträge: 5.415
Sehr interessante Dokumentation und eindrückliche Bilder einer Gegend, die wir damals in der Schule durchgenommen haben, ich aber noch nie persönlich gesehen habe.
Ich finde solche "alten" Industrieanlagen immer sehr spannend und würde ich auch gerne mal besuchen.
Vielen Dank fürs Zeigen!
__________________
Liebe Grüsse
Dominik
∞ ∞ Infinite Landscapes ∞ ∞
Dieser Satz kein Verb.
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Alt 09.02.2016, 14:20   #10
Zwergfrucht
Gesperrt
 
 
Registriert seit: 15.02.2009
Ort: München
Beiträge: 2.408
Tja,
leider ist das so...
Die Bilder sind recht eindrucksvoll und sprechen für sich.

Gruß
Wolfram
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