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Alt 17.06.2018, 21:31   #8
Harry Hirsch

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TAG 2: DA LANG?

Von der Fritz-Putz- zur Kenzenhütte:

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Das Risiko eingehen? Es gibt keinen kurzen Talweg zur Kenzenhütte. Man muss immer über einen Berg oder Sattel. Mindesthöhe: 1.620 Meter (Branderfleck).

Auf dem Hang hinter dem Branderfleck (Nordseite) liegt noch gut 1m Schnee meinte die Wirtin der Kenzenhütte auf telefonische Anfrage.
Und jetzt? Die garantiert schneefreie Variante bedeutet zurück nach Füssen, dann nach Halblech und von dort durch das Tal zur Hütte. Rund 25 km. Es fahren auf Teilstücken auch Busse, aber nicht immer.

Wanderer auf der Fritz-Putz-Hütte haben uns gesagt, dass der Weg über die Hochplatte frei ist.
Sch... Hochplatte! Ausgesetzt, Schwindelfreiheit notwendig! Und das mir. Gerne in den Bergen aber nicht absolut schwindelfrei. Und die Videos auf Youtube, die ich mir bei der Tourenplanung zuhause angesehen habe, waren nicht aufbauend... Trotzdem probieren?
Wenn wir umkehren, müssen wir den ganzen Weg von der Hochplatte zurück und anschließend nochmal die 25km wie oben beschrieben.

Tja, was soll's. Wie schon am Tag 1: no risk no fun. Also sind wir losmarschiert.
Wir haben von anderen Gästen noch einen Kaffee bekommen (es war ja eine Selbstversorgerhütte, also nix mit üppigem Frühstücksbuffet) und sind dann recht früh gestartet.

Wir kommen von rechts (gestern) und gehen nach links:

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Es hat gestern Abend und in der Nacht geregnet. Als wir losgehen, ist es noch etwas neblig:

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Das lichtet sich aber bald:

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Der Mond zeigt sich auch nochmal:

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Ein letzter Blick zurück zum Säuling. Einer unserer Lieblingsgipfel:

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Die Jägerhütte ist unser erstes Zwischenziel. Der Weg bleibt zunächst einfach und führt durch den Wald bis zur Hütte. Wie gesagt - noch nichts gefrühstückt, das holen wir jetzt nach. Muss ja auch mal sein. Da die Hütte nicht bewirtschaftet ist, geht's den Proviant an den Kragen:

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Apropos essen. Die ganze Tour hat keine Einkehrmöglichkeit. Wir sind darauf vorbereitet und haben genug zu essen und trinken dabei.

Wir verlassen den Weg nach links in Richtung Hochplatte. Das erste Mal erscheint unser Tagesziel, die Kenzenhütte auf einem Wegweiser:

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Man beachte den schwarzen Punkt neben Hochplatte und Kenzenhütte. Der steht für "schwer"

(Endlich) ändert sich der Weg völlig. Wir verlassen den Wald und kommen in ein höheres Tal, in dem sich deutlich weniger Bäume aufhalten. In dem Tal geht es jetzt steiler bergauf. Wir wollen zum Roggensattel. Das ist der Einschnitt hinten auf der linken Bildhälfte. Mit dem Schnee davor. Von dem Standort ausgesehen übrigens wesentlich höher, als es das Bild vermuten lässt.

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Zum ersten Mal "erschweren" Schneefelder unsere Wanderung. Nicht immer ist klar zu erkennen, wo der Weg denn lang läuft...

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Wir gehen weiter hoch zum Sattel und müssen ein paar Mal umkehren, da wir die falsche Fährte um große Schneefelder genommen haben.
Der Sattel selbst ist voller Schnee. Er türmt sich zu einer meterhohen Wand auf und auf der anderen Seite geht es gefühlt 90 Grad abwärts. Dort ist alles weiß. Hier verläuft der Normalweg, wenn man nicht über die Hochplatte möchte. Keine Chance.
Ich hatte leider nicht den Nerv hier ein Foto zu machen. Ich stand kurz vor dem Scheitel und traute mich irgendwie mal drüber zu linsen. Es ging, wie gesagt, sehr steil abwärts. Und bei dem Tauwetter (es war recht warm), weiß man auch nicht, wie der Schnee hält. Daher blieb die Kamera im Sack und ich habe mich in Sicherheit gebracht.

Na ja - oder das was man so nennt. Erstmal runter vom Schnee und weiter in Richtung Hochplatte. Die letzte Hoffnung da noch irgendwie drum herum zu kommen, war dahin.
Vor dem Gratweg zur Hochplatte hat uns die Natur noch was Nettes gebaut. Das "Fensterl":

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Danach schlägt für mich die Stunde der Wahrheit. Der Weg zur Hochplatte steht an. Die Hochplatte, ist entgegen dem, was ihr Name vielleicht vermuten lässt, nicht etwa eine Art Ebene in der Höhe, sondern schlicht und ergreifend ein Gipfel. 2073 Meter hoch. Der Berg selbst ist ein feiner Gipfel, aber nicht besonders spektakulär. Der Grat dorthin jedoch schon.

Vor uns gehen zwei "junge Leute" den Weg an. Blick zu meiner Frau. Blick von meiner Frau zu mir. Umdrehen? Kurzes Schweigen. Nein, wir gehen einfach mal los. Wenn es zu schlimm wird müssen wir zurück.

Es geht bergauf, der Grat wird schmaler. Die Hangneigung rechts und links nimmt zu. Die Höhe (bzw. Tiefe) auf beiden Seiten auch...

Komisch, wie unser Hirn da tickt. Der Pfad ist immer noch gut einen knappen Meter breit. Stellt euch vor, jemand zeichnet mit Kreide in der Fußgängerzone einen Weg, der einen knappen Meter breit ist. Ist das ein Problem zwischen den Kreidestrichen entlang zu laufen? Nee. Man würde auch mit geschossenen Augen da lang tanzen. Aber wenn es rechts und links von den Kreidestrichen jeweils einige hundert Meter runter geht? Dann sieht die Sache anders aus. Unser Warnsystem leistet da ganze Arbeit...

Nach einem Stück sah es ungefähr so aus:

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Trotz des mulmigen Gefühls in der Magengegend: Die Aussicht war ein Traum!

Wir sind dann rechts langsam und vorsichtig den Grat weiter, bis wir zu dieser Stelle kamen:

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Ihr seht die zwei Menschen auf dem Fels gegenüber? Gut. Das was zwischen uns liegt ist der Weg. Nein, es gibt keinen anderen, nein es kommt nicht die "ach so, da geht's ja lang, das habe ich zuerst gar nicht gesehen" Variante.
Mein innerer Schweinehund brüllte "UMKEHREN!". Zum Glück waren die zwei Gestalten da auf dem Fels. Sie liefen nicht in die gleiche Richtung wie wir, sondern kamen uns entgegen. Und sie lieferten meinem Schweinehund ein Gegenargument: Sie nehmen ihre Wanderstöcke, schoben sie zusammen und brachten sie an ihren Rucksäcken an. Warum das beruhigend war? Das macht man eigentlich, wenn man beide Hände für ein Sicherungsseil braucht.

Ja und ein solches war da unten am Fels. Zum Glück!
Sorry, an der Stelle hatte ich 1. nicht die Nerven die Kamera zu zücken, 2. keine Hand frei, da ja beide am Seil waren. Füße am Fels und ein paar hundert Meter Nichts unter'm Hintern. War aber nicht ganz so schlimm, wie es klingt.

Kurz nach dieser Stelle ging es dann so

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weiter. Mit Seil gesichert (links am Fels).

Kurz danach kommt dann der Gipfel der Hochplatte:

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Ich konnte eine gewisse Erleichterung (und ein wenig Stolz) nicht verbergen.

Danach kam noch ein kurzes Stück auf dem Grat

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(oben hinten ist nochmal das Gipfelkreuz zu sehen), bevor wir dann über den Nordhang auf einer geschlossenen Schneedecke den Abstieg antreten.
Wir konnten an einigen Stellen auf dem Schnee hinuntergleiten.

Unten angekommen, nochmal die Wanderzeichen und der Hinweis auf die Schwierigkeit (schwarz = schwer)

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Es ging dann stetig bergab Richtung Kenzenhütte. Noch einige Kilometer über Schnee, dann Schneefelder bis wir schließlich wieder auf dem normalen Weg laufen konnten.
Das größte Problem bei Schnee ist übrigens nicht immer der Schnee selbst, sondern, dass man den Wegverlauf nicht mehr erkennen kann.
Und allzu viele sind nicht vor uns gelaufen, außerdem hat der Regen der Tage zuvor die Spuren verwaschen.

Na ja - irgendwann sind wir tatsächlich auf der Kenzenhütte angekommen. Und zur Belohnung gab's was Leckeres:

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Kurz nach unserer Ankunft fing es an zu regnen. Und wenn dann gleichzeitig die Sonne scheint... na, ihr kennt das doch:

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Übrigens: Auch hier war nichts mit Stille - es war ein Kind hat dort mit unendlich vielen lauten Freunden und Freundinnen seinen (geschätzten siebten oder achten) Geburtstag gefeiert. War aber nett. Sie haben (u.a.) Marshmallows gegrillt

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und wir haben welche abbekommen

Ein Bild von der Hütte selbst (allerdings schon vom nächsten Morgen):

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Der zweite Tag geht zu Ende. Wir sind zufrieden mit dem, was wir heute geschafft haben.

Teil 3 folgt...
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Grüße Joachim
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Das Leben ist einfach...einfach zu schwer. Es wäre so einfach, wenn es einfacher wär' (Lindemann)
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