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Alt 29.02.2016, 13:07   #18
perser

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Hallo, Dat Ei,

danke für Deine lange, gründliche Antwort und zunächst für den Buchtipp. Du machst mich denn neugierig.

Was, zweitens, die Anmerkung zu den Hochformaten betrifft, gibt es zwei Gründe dafür: einen stilistischen (ich mag in der Tat Querformate, selbst bei Porträts, ist halt eine persönliche Geschmackssache) und im Falle dieses Forum einen pragmatischen: Aufgrund der Höhen- und Breitenbeschränkung für Uploads muss ich Hochformate stärker herunter rechnen, sie werden damit kleiner.

Aber, drittens, zu Deinem Haupteinwand: Eigentlich teile ich ihn vorbehaltlos, gerade auch, wenn es um Kinder geht. Ich habe noch nie im Ausland Kindern auch nur einen Cent gegeben, würde es auch nie tun, in den allermeisten Fällen meist fragen sie auch nicht nach. Das gibt es ohnehin nur in sehr, sehr wenigen Ländern, nämlich jenen, in denen sich Pauschaltouristengruppen massieren. Ich überlege schon zweimal, wenn ich ihnen einen Kuli gebe, und auch das dann nur in recht klaren, verbindlichen Situationen, nicht pauschal auf der Straße.

Aber auch Erwachsene bekommen normalerweise kein Geld, jedenfalls nicht für Nichts. Nicht einmal Bettler. Und auch das wird (außer bei Bettlern) auch nicht nur nicht erwartet, gar verlangt, sondern zuweilen sogar als Beleidigung empfunden. Denn die Menschen in den meisten uns kaum bekannten Ländern haben weitaus mehr Stolz noch als wir.

Ein Beispiel: Als ich vor zwei Jahren mit meiner Frau und einem befreundeten Paar im Sudan war, wollten wir in einer Kleinstadt tief in der Sahara ins Zentrum des Ortes zu einer Drogerie laufen. Unsere Herberge lag außerhalb, so fragten wir einen Mann um die 30 in einem klapprigen Toyota nach dem Weg. Er erklärte es uns, fuhr weiter, kehrte zurück und forderte uns auf, bei ihm einzusteigen: Er würde uns hinfahren. Wir nahmen an, waren aber sicher, dass er auf ein Geschäft aus ist. Doch nichts dergleichen – er schaute uns ganz scheel an, dass wir seine Gastfreundschaft so missverstanden hatten, hätte uns stattdessen eher selbst noch Geld gegeben.

Doch all das, was Du in Bezug auf meine Äthiopien-Bilder schreibst, geht er für mein Dafürhalten völlig am Ziel vorbei. Die Menschen diese Völker leben in überraschend intakten gentilen Dorfgemeinschaften, in denen es wenig Privateigentum gibt, man sich selbst versorgt und das, was man hat, auch teilt. Das Geld floss denn in eine Art Dorfkasse, aus der man dann zusammen für das Dorf ein Auto oder ein Moped kauft, wenn man mal jemand zum Arzt in die nächste Kleinstadt bringen oder ausgebüchste Rinder suchen will. Nun gut, vielleicht auch mal ein Gewehr, um die Herden zu beschützen oder ein bissel damit zu protzen. Das macht man am Omo schon seit Menschengedenken so, ist Teil der Kultur...

Ich hatte stets den Eindruck, dass es gerade die jungen Leute, Mädchen wie Jungen, als einen Art Sport betreiben, ein paar Birr zu ergattern, so wie andere in dem Alter (in post-smartphonalen Zeiten) halt Briefmarken sammelten. Ich weiß, das Beispiel hinkt, aber es trifft die Sache: Sie sehen es als Hobby, als kleine erheiternde Herausforderung, eine den immer gleichen Alltag unterbrechende Abwechslung – nicht aber als Lebensunterhalt. Wahrscheinlich äußert sich hier, vor allem bei den Mädchen, auch eine gewisse Eitelkeit: Wer ist halt am attraktivsten für bleichgesichtige Gäste? Fragen konnte ich sie danach nicht, sie verstanden weder Englisch noch Amharisch (was unser Guide dann hätte übersetzen können).

Und im Übrigen: Warum sollten diese Menschen kein Recht auf das eigene Bild haben (wie bei uns so ganz selbstverständlich) und sich so zumindest einen gewissen Gegenwert für das Posieren geben lassen? Ich finde das absolut nachvollziehbar. Ohnehin müssen wir uns davor hüten, so zu tun, als müssten wir ihnen unter allen Umständen ihre prähistorische Lebensform erhalten – notfalls gegen ihren Willen. Wir leben auch nicht mehr in Hütten im Wald, tanzen im Bärenpelz singend ums Lagerfeuer und ernähren uns nur von dem, was im eigenen Vorgarten wächst. Heute muss doch in unseren so überlegenen Gesellschaften für jedes kleine Fingerkrummmachen gelöhnt werden.

Das ist für mich ein wenig vergleichbar mit unserem Gutmenschentum (ich weiß, dieses Un-Wort ist gefährlich), mit dem wir, nachdem wir unsere Wälder abgeholzt haben, unsere Luft, Böden und Gewässer für grenzenloses Industriewachstum verpestet haben, anderen vorzuschreiben versuchen, dass sie all das bitteschön zu unterlassen haben – am Ende gar bei Androhung von Strafe. Dabei bilden wir EU-Europäer gerade einmal 8 Prozent der Weltbevölkerung…

Beste Grüße in den Norden – mit der Bitte denn um weiteren vor allem natürlich fotografischen Austausch.
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Gruß Harald

Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.
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